Literarischer Ortstermin: Liebermann Villa

Heute freue ich mich, dass ich einen besonderen Beitrag mit fotografischen Impressionen und literarischen Tipps zu einem einzigartigen und außergewöhnlichen Ort hier teilen kann: die Liebermann-Villa am Wannsee. Die einstige Sommerresidenz des berühmten Malers Max Liebermann ist heute als Museum zu besichtigen – und sowohl das Haus, die ausgestellten Gemälde, aber vor allem auch der Garten sind definitiv einen Besuch wert und strahlen gerade jetzt im Sommer einen ganz besonderen Zauber aus.

Die Villa liegt in der sogenannten Alsenkolonie und Max Liebermann verbrachte hier ab 1910 mit seiner Frau Martha, seiner Tochter und seiner Enkelin viele schöne und auch produktive Sommer am Wannsee.
Noch heute atmet das Haus – im oberen Teil sind heute einige seiner Gemälde zu besichtigen – ein ganz besonderes Flair. Eine sommerliche Leichtigkeit – mit einem grandiosen Blick auf den Wannsee, viel Luft und Licht – in die sich jedoch eine melancholische Note durch das Wissen um die traurige Familiengeschichte und das tragische Ende Martha Liebermanns im Jahr 1943 mischt.

„Diese Villenkolonie entwickelte sich zwischen 1870 und 1920 zum bürgerlichen Pendant der nahegelegenen Potsdamer Schlösser und Gärten. Es wurde üblich unter denen, die es sich leisten konnten, das Geschäft in der Stadt zu belassen, die Wohnung aber an den Stadtrand zu verlegen. Unter den Mietern und Hausbesitzern in der Alsenkolonie fanden sich so bekannte Namen wie von der Heydt, James Hardy, Siemens, Oppenheim, Joerger, Pringsheim, Langenscheidt, Parey; auch Künstler wie Reinhold Begas und Anton von Werner besaßen hier Häuser.“

(aus Regina Scheer „Wir sind die Liebermanns“, S.217/218)

Der Garten wurde – gerade auch während und nach dem ersten Weltkrieg – zu einem beliebten und viel gemalten Motiv Liebermanns. Der schöne Band „Max Liebermanns Garten“, der 2021 als Band der Insel-Bücherei erschienen ist, zeigt viele dieser Bilder als farbige Abbildungen: die Blumenterrasse, den Staudengarten und das Gärtnerhäuschen.

„Je länger der Krieg dauerte, um so mehr zog er sich ins Atelier zurück, auch im Freien malte er, schöne Bilder von Gartenrestaurants am Wannsee, von seinem Sommerhaus und dem Garten.“

(aus Regina Scheer „Wir sind die Liebermanns“, S.307)

Zudem erfährt man in dem Band in kurzen Zügen mehr über die Geschichte der Villa, die seit 2006 als Museum für Besucher zugänglich ist. In liebevoller Detailarbeit durch die Max-Liebermann-Gesellschaft und ihrer Mitglieder erblüht auch der Garten heute wieder in voller Pracht, wie er auf den Originalgemälden zu sehen ist. Es ist ein wirklich besonderer Genuss, hier die Bilder des Künstlers mit der heutigen Blütenpracht der Anlage zu vergleichen.

„Das ist das Tableau. Max und sie, Käthe in der Mitte, Marie, die Enkelin, und der Dackel.“

(aus Sophia Mott „Dem Paradies so fern – Martha Liebermann“, S.9)

Aktuell ist noch bis zum 3. Juli 2023 die Sonderausstellung Meeting Liebermann – Fotoporträts aus der Sammlung Ullstein(25.03.23 – 03.07.23) im Obergeschoss der Villa zu sehen, die großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien von Max Liebermann und seiner Familie präsentiert, die eine besondere Eindringlichkeit haben. So zum Beispiel auch das schöne Porträt, das ihn mit seiner Enkelin Maria auf einem Korbstuhl vor der Sommervilla zeigt und das auch den Titel von Regina Scheers Familienbiografie „Wir sind die Liebermanns“ ziert.
Zugleich werden in der Ausstellung auch die jeweiligen FotografInnen und deren Biografien näher vorgestellt.

„(…) wir nähern uns dem 20. Jahrhundert, und da kann man nicht von Max Liebermanns Haus oder Max Liebermanns Atelier sprechen, da kann man überhaupt nicht mehr von den Liebermanns sprechen, ohne ihr Ende mitzudenken.“

(aus Regina Scheer „Wir sind die Liebermanns“, S.269)

Auch von Martha Liebermann gibt es in der Ausstellung eine Fotografie von Willi Ruge aus dem Jahr 1932 zu sehen, die sie lesend im Korbstuhl auf der Terrasse der Villa zeigt. Ein Foto, das unbeobachtet entstanden ist, zumal sie es wohl nicht sehr mochte, fotografiert zu werden.

„Die Nachwelt werde sie dereinst für eine reizlose und hinfällige Person halten, hat Martha manchmal scherzhaft geklagt, weil Max sie auf seinen Bildern meist ruhend und lesend darstellte. Lesend hat sie versucht, das Leben zu begreifen, ohne die Abenteuer der Realität zu vermissen bequem im Sessel, auf der Chaiselongue, im Liegestuhl oder auf einer Gartenbank sitzend, den Gedanken anderer folgend, wie durch ein Labyrinth mit exotischen und unbekannten Pflanzen, wilden Tieren und Abenteuern, die zu bestehen in ihrem Anspruch nicht geringer gewesen sind als das wahre Leben.“

(aus Sophia Mott „Dem Paradies so fern – Martha Liebermann“, S.34)

Während Regina Scheer in ihrer umfassenden Familiengeschichte ausführlich auf die jüdischen Wurzeln der Familie in Märkisch Friedland (dem heutigen Mirosławiec in Polen) und die weit verzweigten Verästelungen des Stammbaums der Liebermanns vom 18. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert eingeht – auch Walther Rathenau, dem ermordeten Außenminister und Cousin Max Liebermanns, widmet sie u.a. ein eigenes Kapitel – fokussiert sich Sophia Mott in ihrem Roman „Dem Paradies so fern – Martha Liebermann“ vorwiegend auf Max Liebermanns Gattin und ihre letzte Lebensphase.

„Aber natürlich verlassen einen die Kinder eines Tages und manchmal auch die Geschichten und vielleicht sogar die Bilder. Mit jedem Verlust verliert man gelebtes Leben. Nur was erinnert werden kann, ist gewesen. Und manches wird erinnert, was niemals gewesen ist.“

(aus Sophia Mott „Dem Paradies so fern – Martha Liebermann“, S.21)

Der Roman umfasst die Zeit von 1941 bis zu ihrem Suizid im Jahr 1943, durch den sie der Deportation nach Theresienstadt zuvorkam, die geprägt war von den letztlich leider vergeblichen Versuchen von Bekannten und FreundInnen, ihr doch noch die Flucht in die Schweiz oder nach Schweden zu ermöglichen.

„Nicht sie verlässt das Leben, das Leben verlässt sie. Die Familie, die Freunde, ihr Heim am Pariser Platz, die Wannseevilla. Die hat beinahe den größten Schmerz hinterlassen, weil sie zuvor das größte Glück beanspruchte.“

(aus Sophia Mott „Dem Paradies so fern – Martha Liebermann“, S.118)

In Rückblenden erfährt man jedoch auch Vieles über die wichtigsten Stationen ihres Lebens und ihre Ehe mit Max Liebermann, sowie die Villa am Wannsee – das verlorene Paradies, das sie nach dem Tod ihres Mannes 1935 im Jahr 1940 durch die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ gezwungen wurde zu verkaufen. Der Zugriff auf das Geld aus dem Verkauf blieb ihr verwehrt.

All diese Lektüren haben mir einen geschichtsträchtigen und einzigartigen Ort auf besondere Weise erschlossen und mir einen anderen, differenzierten Blick auf die traumhaft schöne Villa am Wannsee eröffnet.

Daher kann ich – bevor ich jetzt die Bilder für sich sprechen lasse – all diese Bücher uneingeschränkt empfehlen und jedem vor allem auch den Besuch in der Villa am Wannsee wärmstens ans Herz legen: ein wahrhaft bezaubernder Ort, den man nicht mehr vergisst, sondern tief im Inneren für immer bewahrt.

Buchinformationen:
Gloria Köpnick/Rainer Stamm, Max Liebermanns Garten
Insel Verlag, Insel-Bücherei Nr. 1498
ISBN: 978-3-458-19498-9

Regina Scheer, „Wir sind die Liebermanns“ – Die Geschichte einer Familie
List Taschenbuch
ISBN: 978-3-548-60783-2

Sophie Mott, Dem Paradies so fern – Martha Liebermann
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-172-4

Ausstellungskatalog:
Meeting Liebermann. Fotoporträts aus der Sammlung Ullstein
Liebermann-Villa am Wannsee
ISBN: 978-3-9811952-6-2

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich die Liebermann-Bücher:

Für den Gaumen:
Während es in den Berliner Salons der Zeit opulent zugeht:

„In den Salons wurden alle Konflikte erträglich, und bei Hummermayonnaise und Weißwein verloren die Widersprüche ihre Schärfe.“

(aus Regina Scheer „Wir sind die Liebermanns“, S.276)

Gibt es im Hause Liebermann unter anderem „Bowle und Kuchen, für die Herren Herzhafteres“ (aus Sophia Mott „Dem Paradies so fern – Martha Liebermann“, S.51).

Zum Weiterschauen (I):
Sehr sehenswert ist auch der Fernsehfilm „Martha Liebermann – ein gestohlenes Leben“ aus dem Jahr 2022, der auf Motiven von Sophia Motts Roman „Dem Paradies so fern“ basiert und Thekla Carola Wied in der Hauptrolle zeigt.

Zum Weiterschauen (II):
Die Porträts, die der schwedische Maler Anders Zorn von Martha und Max Liebermann gemalt hat, spielen eine wichtige Rolle – auch in Sophia Motts Roman über Martha Liebermann. Die Künstler Zorn und Liebermann verband eine Freundschaft – leider scheiterte auch der letzte Versuch durch den Rückverkauf der Bilder nach Schweden, Martha Liebermanns Ausreise zu ermöglichen.

Für einen Museumsbesuch:
Nicht nur das Sommerhaus bzw. die Villa Liebermann am Wannsee mit dem zauberhaften Garten ist heute für Besucher geöffnet.
Auch am Pariser Platz ist heute eine Rekonstruktion des Max-Liebermann-Hauses, das nach historischem Vorbild wieder aufgebaut wurde, zu sehen und zu besichtigen.

Zum Weiterlesen (I):
Fußläufig nur einige hundert Meter von der Villa Liebermann entfernt ist die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, die sich mit Ausstellungen und Bildungsangeboten mit der Wannseekonferenz und dem Holocaust auseinandersetzt. Vor einigen Jahren gab es eine Sonderausstellung zur „Villencolonie Alsen am Großen Wannsee“, zu welcher ein Begleitband erschienen ist, der sich ebenfalls der Siedlung und ihren Bewohnern widmet:

Ausstellungskatalog:
Villencolonie Alsen am Großen Wannsee
Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
ISBN: 978-3-9813119-3-8

Zum Weiterlesen (II):
In Regina Scheers „Gott wohnt im Wedding wird die Villa Liebermann beschrieben und auch in Mariam Kühsel-Hussainis Roman Tschudi über den Direktor der Berliner Nationalgalerie spielt Max Liebermann, der mit ihm befreundet war, eine nicht unerhebliche Rolle:

Regina Scheer, Gott wohnt im Wedding
Penguin
ISBN: 978-3-328-10580-0

Mariam Kühsel-Hussaini, Tschudi
Rowohlt
ISBN: 978-3-498-00137-7

10 Kommentare zu „Literarischer Ortstermin: Liebermann Villa

  1. Koinzidenzen: gerade habe ich mir den Film „Martha Liebermann – ein gestohlenes Leben“ auf die Liste gesetzt. Und die von dir geschilderte Atmosphäre im Liebermann Haus und im Garten erinnert mich sehr an Stimmung und Ausstellung im Nolde Haus in Seebüll. Natürlich nicht vom Stil – der bauhaus Stil des Nolde Hauses ragt gerade zu fremd aus der Umgebung hervor. Aber die Bestrebungen sich ein ganz eigenes Paradies zu schaffen ähneln sich sehr. Ebenso wie die Malereien aus dem Garten.

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    1. Im Nolde-Haus war ich bisher noch nicht, daher habe ich hier leider keinen Vergleich. Aber diese besonderen Orte, die KünstlerInnen zu ihren Werken inspirieren strahlen vermutlich oft eine ganz besondere Ästhetik aus.
      Mich hat der Film über Martha Liebermann sehr berührt und ich bin gespannt, wie Du ihn findest.
      Herzliche Grüße und einen schönen Sommerabend!

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    1. Dankeschön! Das freut mich, wenn ich da etwas Urlaubsstimmung transportieren konnte. Der Garten, die Blumen und der Blick auf das Wasser und die Segelboote auf dem Wannsee, das ist wirklich etwas Besonderes. Herzliche Grüße und einen schönen Sommerabend!

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  2. Liebe Barbara Pfeiffer,

    ich freue mich, dass ich Ihren Blog abonniert habe. Ihre Rezensionen
    lese ich immer mit Vergnügen. Ihr Artikel zu Max Liebermann inspiriert
    mich, den wunderschönen Garten am Wannsee nach langer Zeit wieder einmal
    zu besuchen. In der Biografie von Regina Scheer werde ich dann auf einer
    der Bänke schmökern und auf den Wannsee blicken.

    Ihre Rezension zu meinem Roman „Brockesstraße Beletage in Lübeck St.
    Lorenz“ empfinde ich als überzeugend dargestellt. Sie trifft meine
    Intention in besonderem Maße.

    Vielen Dank!

    Herzlich, Anette L. Dressler

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    1. Liebe Anette Dressler,

      vielen lieben herzlichen Dank für diese schöne Rückmeldung, die mich riesig freut.
      Wenn es mir gelingt, mit diesem Blog Lust auf etwas zu machen und zu inspirieren, trifft das genau das Ziel, das ich mir für meine Kulturbowle vorgenommen hatte.
      Und wenn sich AutorInnen hier auf meiner Seite persönlich zu Wort melden und sich in meiner Besprechung ihres Buchs wiederfinden, ist das einfach nur wunderbar und etwas Besonderes. Ich habe also zu danken!
      Ich wünsche ganz viel Freude am Wannsee, die schönen Bänke im Liebermann Garten laden wirklich zum Verweilen und Genießen ein, die blühende Pracht ringsum und der Blick aufs Wasser sind eine Augwenweide und der ideale Ort, um zu lesen oder die Seele baumeln zu lassen.
      Weiterhin viel Erfolg für „Brockesstraße Beletage“ – mein Lübeck-Besuch liegt leider auch schon wieder einige Jahre zurück – und einen schönen Sommer wünscht, Barbara Pfeiffer

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