Spot an… auf Barrie Kosky

Barrie Kosky ist einer der führenden Opern- und Musiktheaterregisseure unserer Zeit. Der gebürtige Australier (Jahrgang 1967) hat dieses Jahr gemeinsam mit seinem langjährigen Referenten Rainer Simon seine Biografie verfasst, erzählt seine Familiengeschichte und erklärt in „Und Vorhang auf, Hallo! Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Peggy & Co.“ was ihn künstlerisch geprägt hat, was ihn antreibt und wie seine Inszenierungen entstehen. Entstanden ist ein grandioses, lesenswertes, kurzweiliges Buch über Kultur, Theater, Musik und das Leben.

Kosky ist in Melbourne geboren und in Australien als Enkel jüdischer Einwanderer aufgewachsen. Vor allem seine Großmutter Magda weckte in ihm die Freude und das Interesse am Theater – vor allem an der Operette und der Oper. Ihr hat Kosky ein liebevolles, erstes Kapitel seines Buches gewidmet. Sie pflanzte den Samen der Liebe zum Musiktheater, der aufgehen sollte… und wie…

„Dann blühte meine eigentlich sehr ernste Großmutter auf. Wenn sie über Opern sprach oder das Opernhaus nach einer Vorstellung verließ, war sie auf einmal eine andere Person, versprühte Lebensfreude. Sie liebte Opern, und sie liebte es, mich dabei zu beobachten und zu begleiten, wie ich dieselbe Liebe entwickelte.“

(S.17)

Kosky zählt heute zu den wichtigsten Opern- und Musiktheaterregisseuren weltweit und inszeniert an den renommiertesten Häusern.
Es ist fesselnd zu lesen, wie er seinen künstlerischen Werdegang beschreibt, aber auch sein Hadern mit der eigenen Pubertät oder die Beschäftigung mit seinen jüdischen Wurzeln. Er erzählt, welche Einflüsse ihn prägten – von den Opern- und Operettenbesuchen mit der Oma bis hin zur Muppets Show, Büchern oder Filmen.

„Ich war damals ein Schwamm. Ich sog alles auf, was sich mir anbot – Opern, Theater, Musicals, Filme, Varieté-Shows, Bücher, Schallplatten, Parodien -, und presste es später, als ich anfing als Regisseur zu arbeiten, wieder aus.“

(S.137)

Er gewährt einen Eindruck in seine Gedankenwelt, was für ihn Inspiration bedeutet und was sein kreatives und künstlerisches Schaffen bestimmt hat. Er erklärt, wie Inszenierungen entstehen und gewährt aufschlussreiche und hochspannende Einblicke hinter die Kulissen.

Für Barrie Kosky macht die Trennung von E und U keinen Sinn. Er liebt es, große Opern von Tschaikowski, Strauss oder Wagner ebenso zu inszenieren, wie Operetten von Kálmán oder Musicals wie „La Cage aux Folles“.

„Würde Emanuel Schikaneder heute leben, wäre er wohl Musicalproduzent am Broadway. Wenn Europäer:innen das Musical verachten, so ist das für mich so, wie wenn man die eigenen Enkel verstößt, und umgekehrt kommt die amerikanische Ignoranz gegenüber der Operette einer Verleugnung der Großeltern gleich.“

(S.138)

Er erzählt, wie es ist als homosexueller, jüdischer Regisseur „Die Meistersinger von Nürnberg“ im Bayreuther Festspielhaus zu inszenieren. Aber er erzählt eben auch über die Faszination der Muppets Show oder der Simpsons.

Und sein Buch enthält eines meiner Lieblingszitate dieses Jahres:

„Für mich ist Kultur wie ein Garten oder ein Wald, in dem alle möglichen Arten von Pflanzen wachsen – große Bäume, kleine Bäume, wunderschöne Blumen und Büsche. Je nach Jahreszeit ändert sich dieser wunderbare, üppige Wald und erfährt immer wieder Transformationen. Niemand käme beim Spaziergang durch einen Wald auf die Idee zu sagen: Zum Glück gibt es hier nur eine Baumart! Kunst ist keine Monokultur, sondern ein Ökosystem.“

(S.47)

Kosky hat eine Ode an die Kultur und ihre Vielfalt verfasst, die klar macht, wie bunt, schillernd und opulent Bühnenkunst sein kann und darf und hat zugleich ein Buch darüber geschrieben, was Toleranz bedeutet.

Wer wie ich Musiktheater in allen Facetten – egal ob Operette, Oper oder Musical – liebt, wird Koskys Buch freudig und fasziniert verschlingen. Seine Blicke hinter die Kulissen und Einblicke in den kreativen Schaffensprozess sind hochinteressant, kurzweilig und zugleich absolut unterhaltsam.

Begleitet werden seine Ausführungen zu den wichtigsten Inszenierungen seiner Karriere von zahlreichen Abbildungen und Fotos dieser Schlüsselmomente seines künstlerischen Schaffens:
„Jewgeni Onegin“ an der Komischen Oper Berlin, „Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen, „Salome“ an der Oper Frankfurt am Main oder „Die Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble, um exemplarisch nur einige zu nennen.

Barrie Kosky hat sich unter anderem verdient gemacht um die Berliner Jazz-Operette der Zwanziger und Dreißiger Jahre – gerade in den zehn Jahren als Intendant an der Komischen Oper Berlin hat er viele lange vergessene Stücke auf den Spielplan gesetzt. Mit großem Erfolg.

„Wir haben zahlreiche Juwelen entdeckt, aufpoliert und sie zum Strahlen gebracht. Darunter die drei letzten Stücke, die vor der Machtergreifung durch die Nazis in Berlin uraufgeführt und seither nicht mehr gespielt wurden: Oscar Straus’ „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (September 1932), Paul Abrahams „Ball im Savoy“ (im Dezember 1932) und Jaromir Weinbergers „Frühlingsstürme“ (Januar 1933). Alles faszinierende Werke, mit frechen, witzigen und anspielungsreichen Texten sowie mit grandioser Musik.“

(S.32)

Mittlerweile ist er seit Sommer 2022 Hausregisseur an der Komischen Oper Berlin und übernimmt fünf Spielzeiten lang jeweils zwei Inszenierungen pro Jahr.

„Und Vorhang auf, hallo!“ ist ein Buch, das ich sicher wieder zur Hand nehmen und noch einmal lesen werde, weil es einfach ein großes Vergnügen ist und weil es das Herz jedes und jeder Theaterverrückten aufgehen lässt. Von Kafka bis zu Kermit alles dabei – eine ganz große Empfehlung!

Und noch ein Tipp für das kommende Silvester 2023: Um 18.00 Uhr streamt Staatsoper TV „Die Fledermaus“ von Johann Strauß aus dem Münchner Nationaltheater in der Neuinszenierung unter der Regie von Barrie Kosky mit Diana Damrau als Rosalinde, Katharina Konradi als Adele und vielen anderen mehr.

Mit diesem Buch habe ich einen weiteren Punkt meiner 23 für 2023erfüllt – Punkt Nummer 4) auf der Liste: Ich möchte eine Biografie lesen. Eine inspirierende und lebendige Lektüre, die viel Lust auf Oper, Operette, Theater und Musik macht – genau nach meinem Geschmack.

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Barrie Koskys „Und Vorhang auf, hallo!“:

Für den Gaumen:
Die Kochkünste der Großmutter konnten Kosky eher nicht überzeugen:

„Auch mein Pausenbrot für die Schule bestand aus Pumpernickel – mit den Fleischresten vom Vortag, Senf und sauren Gurken. Während meine Mitschüler:innen ein klassisches weißes Sandwichbrot mit Erdnussbutter oder Schinken mitbrachten, packte ich ein durch die Gurken völlig durchnässtes dunkles Brot aus, das sofort auseinanderfiel.“

(S.16/17)

Zum Weiterhören oder für einen Theaterbesuch:
Die Lieblingswerke der Großmutter waren Emmerich Kálmáns Operette „Gräfin Mariza“ – übrigens auch eine der ersten Operetten, die ich in meiner Kindheit und seither mehrfach gesehen habe – und Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“, die ich noch nicht live gesehen habe.

Zum Weiterklicken:
Begeistert war ich damals auch von Barrie Koskys Inszenierung von Richard Strauss’ Der Rosenkavalier an der Bayerischen Staatsoper, die ich im Livestream sehen konnte und hier auf der Kulturbowle vorgestellt habe. Diesbezüglich werde ich den Münchner Spielplan der kommenden Spielzeiten sicherlich im Auge behalten, denn die würde ich zu gerne auch mal live im Nationaltheater erleben.

Zum Weiterlesen:
Der bayerische Autor Robert Hültner hat 2006 mit „Der Sommer der Gaukler“ ein hinreißendes Buch über Emanuel Schikaneder, den Librettisten der „Zauberflöte“, und seine Schauspieltruppe geschrieben, die in kleinen Dörfern gastieren und ihre Stücke aufführen – ein verspielt-künstlerisches Sittengemälde des 18. Jahrhunderts und ein Schmankerl für Theaterfans.

Robert Hültner, Der Sommer der Gaukler
btb
ISBN: 978-3-442-74012-3

5 Kommentare zu „Spot an… auf Barrie Kosky

    1. Danke, Bernd. Schön, dass ich die Begeisterung offenbar transportieren konnte.
      Auch im Buch wird diese deutlich, auch da spürt man viel Herzblut und vor allem die Liebe zum Musiktheater. Herzliche Grüße! Barbara

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    1. Danke, Alexander. Ich mag dieses Zitat sehr…
      Vielfalt, Offenheit, Buntheit und Toleranz statt Engstirnigkeit, das kommt in Koskys Buch sehr gut zum Ausdruck. Herzliche Feierabendgrüße!

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