Ein englisches Landhaus, draußen stürmt und regnet es und drinnen prasselt und knistert das Feuer im Kamin. Ein schöner großer Lesesessel lädt zum gemütlichen Schmökern ein und auch für die perfekte Lektüre ist gesorgt: Eva Ibbotsons wunderbarer Roman „Was der Morgen bringt“, der 1993 unter dem Titel „The Morning Gift“ in Großbritannien (und 1994 als deutsche Erstausgabe mit dem Titel „Die Morgengabe“) erschienen ist – jetzt in einer feinen Neuauflage bei Kampa – ist wie geschaffen für einen solchen Lesemoment.
Ruth Berger wächst behütet in einem jüdischen bildungsbürgerlichen Wiener Haushalt auf. Der Vater ist Professor und weckt in ihr die Neugier und die Liebe zur Wissenschaft. Ihr Verlobter Heini ist ein begabter Konzertpianist, den sie nach Kräften unterstützt.
„Ich möchte so leben, wie Musik klingt“, sagte sie einmal, als sie aus einem Konzert im Musikverein kam.“
(S.15)
Doch 1938 sieht die Familie keine Zukunft mehr in Wien und versucht, nach Großbritannien zu emigrieren. Was bei den Eltern gelingt, scheitert bei Ruth zunächst und die junge Frau bleibt alleine zurück.
Als die Lage immer brenzliger wird, erhält sie zufällig Besuch eines britischen Professorenkollegen ihres Vaters, der sich für sie einsetzt und versucht, ihr bei der Flucht zu helfen. Letztlich bringt jedoch nur eine Scheinehe den gewünschten Erfolg.
„Die Worte waren fast nicht zu hören. „Ich glaube, für mein Volk ist es Nacht geworden.“
(S.34)
Da sie weder ihren Verlobten, der noch außer Landes weilt, noch ihre Familie, die sie in England wiedertrifft, beunruhigen möchte, behält sie das Geheimnis der Eheschließung zunächst für sich. Schließlich soll die Ehe ja nach erfolgreicher Flucht schnellstmöglich wieder geschieden und aufgelöst werden. Doch das gestaltet sich schwieriger als erwartet. Ruth beginnt in der neuen Heimat zu studieren, sich einzuleben, neue Kontakte zu schmieden und hat bald auch so alle Hände voll zu tun, ihr neues Leben anzupacken. Und auf einmal kommen auch noch völlig unerwartete Gefühle ins Spiel…
Ehrlicherweise habe ich gleich mal das Internet befragt, ob es eventuell auch eine Verfilmung des Romans gibt, bin allerdings nicht fündig geworden. Fast ein wenig verwunderlich, denn der Stoff würde sich für eine Filmromanze mit geschichtlichem Hintergrund zweifelsohne eignen.
Ibbotson hat einen sehr melodiösen, stimmigen Roman verfasst, der mich sofort in seinen Bann gezogen hat. Sie war eine Autorin, die es verstand, eine Geschichte gut zu komponieren. Ich persönlich mochte sowohl die Charaktere und das geschilderte Milieu in Wien ebenso wie später auch in London sehr.
Eine Welt mit Museen, Musik, guten Gesprächen, dann in London die Welt der Universität mit motivierten und interessierten Studenten. Dass es dann noch ein traditionsreiches Haus am Meer gibt, das Ziel einer Studienreise wird, bringt dann sogar nochmal eine andere, maritime Note mit ins Spiel.
Knisterndes Kaminfeuer sowie eine prickelnde Liebesgeschichte trifft auf erfrischende Meeresbrise in grandioser Natur… was kann sich das LeserInnenherz mehr wünschen. Ach ja, natürlich dürfen Liebeswirren, Fehlschläge und Missverständnisse auf dem Weg zum großen Finale bei einem richtig guten Schmöker nicht fehlen – tun sie auch nicht.
Liebenswerte Charaktere und eine romantische Liebesgeschichte – Ibbotson verstand ihr Handwerk und hat einen Roman geschrieben, der auf sehr liebenswürdige Weise ein wenig „aus der Zeit gefallen“ und im positiven Sinne traditionell wirkt – vor allem wenn man im Hinterkopf behält, dass das Werk in den Neunziger Jahren entstanden ist.
Eva Ibbotson (1925 – 2010) wurde als Maria Charlotte Michelle Wiesner als Tochter eines jüdischstämmigen Vaters in Wien geboren. Auch ihre Familie und sie selbst emigrierten nach Großbritannien – allerdings bereits 1933 (d.h. fünf Jahre früher als ihre Romanfigur). Doch einige Parallelen zu ihrem eigenen Leben weist der Roman sicherlich auf. Als Mutter von vier Kindern verfasste Ibbotson zunächst zahlreiche sehr erfolgreiche Kinder- und Jugendbücher, bevor sie später auch Romane für Erwachsene schrieb.
Wenn man wie ich kein englisches Landhaus und kein Kaminfeuer vorweisen kann, dann ist auf jeden Fall auch ein bequemer Lesesessel bzw. die Couch und eine kuschlige Decke ein hervorragendes Ambiente für die Lektüre. „Was der Morgen bringt“ ist ein romantischer und auch amüsanter Schmöker vom Feinsten, der sich sehr schnell und außerordentlich süffig liest. Trotz des ernsten Themas ein warmherziger Wohlfühlroman mit (Achtung kleiner Spoiler!) Happy End und dem Herz am rechten Fleck.
Wer sich also einfach mal in eine gut erzählte Geschichte fallen lassen und sich selbst etwas Gutes tun möchte, ist mit Ibbotsons Roman gut beraten – Kaminfeuer und Meeresbrise inklusive. Eine schöne Wiederentdeckung – gerne mehr davon!

Mit „Was der Morgen bringt“ habe ich einen weiteren Punkt meiner „24 für 2024“ erfüllt – Punkt Nummer 16) auf der Liste: Ich möchte ein Buch aus den Neunzigern lesen. Schön, dass der Kampa Verlag immer wieder aufs Neue gute Bücher wieder entdeckt und ihnen fein gestaltete Neuauflagen widmet.
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Kampa Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.
Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Eva Ibbotson, Was der Morgen bringt
Aus dem Englischen von Mechtild Ciletti
Kampa
ISBN: 978-3-311-10137-6
***
Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Eva Ibbotsons „Was der Morgen bringt“:
Für den Gaumen:
Während der Verlobte und Pianist Heini vor einem Konzert nicht mehr als eine klare „Rinderbouillon“ (S.92) runterbekommt, hat Ruth auch in schwierigen Situationen kein Problem damit „ein zweites Törtchen und danach noch ein Schokoladeneclair zu vertilgen“ (S.212).
Zum Weiterhören (I):
Heini spielt viel Mozart, unter anderem ein „Adagio in b-Moll“ (S.14) und erzählt Ruth die folgende Geschichte:
„Mozart hatte einen Star“, sagte Heini. „Er hat ihn in einem Käfig in dem Zimmer gehalten, in dem er arbeitete, und es störte ihn nie, wenn der Vogel sang. Im Gegenteil, er hatte es gern, wenn der Star da war, und hat seinen Gesang im Finale des Klavierkonzerts in G-Dur verwendet. (…)“
(S.14)
Zum Weiterhören (II):
Auf einer Feier in England erklingen andere, modernere Töne:
„Als sie oben hinter dem Haus ankam, hörte sie Musik. Cole Porters „Night and Day“, ein wunderbares Lied, träumerisch…“
(S.311)
Zum Weiterlesen:
In der Verlagsvorschau plaudert Verleger Daniel Kampa aus dem Nähkästchen und erzählt, dass er durch seine Erfolgsautorin Jane Crilly auf Eva Ibbotson aufmerksam gemacht wurde. Denn sie hat ihm erzählt, dass sie sich sogar darüber freue, im Winter eine Woche lang erkältet im Bett zu liegen, weil sie dann zum wiederholten Mal die Romane von Eva Ibbotson lesen könne (siehe Kampa Verlagsvorschau Frühjahr 2024, S.20).
Und da der nächste Roman von Crilly noch auf sich warten lässt, sollte ich vielleicht die Zeit mal nutzen, ihren ersten zu lesen, der sehr erfolgreich war und schon bei mir bereit liegt: „Der Gärtner von Wimbledon“, der übrigens auch im Großbritannien des Jahres 1938 spielt.
Jane Crilly, Der Gärtner vom Wimbledon
Übersetzt von Julia Becker
Kampa
ISBN: 978-3-311-10046-1
2 Kommentare zu „Kaminfeuerlektüre“