Da schlummerte tatsächlich doch schon eine ganze Weile das perfekte Sommerbuch auf meinem Bücherberg … und was für ein kleines Juwel habe ich da jetzt entdecken dürfen. Ohne Zweifel ein klarer Fall von: Das richtige Buch zur richtigen Zeit. Wer einen literarischen Tag am See bzw. einen schönen, sommerlichen Lesenachmittag mit Leichtigkeit und Niveau verbringen möchte, dem kann ich Klaus Modicks feinen Roman „Keyserlings Geheimnis“ unbedingt und uneingeschränkt ans Herz legen.
Gemeinsam mit dem Schriftsteller Eduard von Keyserling und seinen Künstlerfreunden samt Begleitung reist man da nämlich vollkommen entspannt an den schönen Starnberger See und darf dort im Jahre 1901 bei der zauberhaften Sommerfrische der Schwabinger Bohème Mäuschen spielen.
„Und Schwabing, diese Hauptstadt des Schlawinertums, passt ihm wie ein maßgeschneiderter Anzug.“
(S.12)
Gemeinsam mit dem Wahl-Schwabinger Keyserling, seinem Freund dem Maler Lovis Corinth, der ihn sogar dazu überreden kann, sich von ihm im kraftvoll-expressionistischen Stil porträtieren zu lassen, atmet man die frische Luft, sieht die Sonne, wie sie sich im See spiegelt und hört den Wind durchs Schilf streifen. Da wird flaniert, eine Ruderpartie auf dem See unternommen und abends wird gemeinsam getafelt, getrunken und gefeiert.
Modicks Sprache ist sinnlich, poetisch und einfach zum Reinlegen. Seine Landschaftsbeschreibungen sind wunderbar ohne kitschig zu sein und entfalten bei der Lektüre unweigerlich ihre ganz eigene Magie.
Kostprobe gefällig? Ich könnte so vieles zitieren, aber eine der zentralen Stellen im Buch, in der Lovis Corinth sein berühmtes Gemälde schafft, das sich heute im Bestand der Neuen Pinakothek in München befindet, ist einfach zu schön:
„Zwischen Stockrosen, Astern und Malven lehnt der Sommer lässig am Gartenzaun und sieht den Schwalben zu, die ihre schnellen Schriftzüge in den Himmel kritzeln. Corinth steht breitbeinig und mit aufgekrempelten Hemdsärmeln vor der Staffelei, malt mit kräftigen, heftigen Strichen, schaut abwechselnd auf die Leinwand und auf Keyserling.“
(S.68)
Und gleichsam leise und nebenbei erfährt man auch noch einiges über die Münchner Kunstszene der Jahrhundertwende bzw. des frühen 20. Jahrhunderts, begegnet unter anderem Frank Wedekind und Franziska von Reventlow und lernt vor allem die Lebensgeschichte des Eduard von Keyserling (1855 – 1918) näher kennen. In Rückblenden werden Szenen und wichtige Momente seines Lebens geschildert, das ihn aus dem Adel des damaligen Kurlands bzw. des Baltikums über Wien nach München geführt hat. Dort führten ihm seine Schwestern den Haushalt, er blieb unverheiratet und zog sich später auch aufgrund seiner Syphilis-Erkrankung, die ihn zunehmend schwer zeichnete, immer mehr zurück.
„Leben und reisen die Menschen nicht wie die Pakete und Koffer? Ein jeder gut verpackt und versiegelt, mit einem Ziel und einer Adresse versehen. Was drinsteckt, weiß keiner vom anderen. Wir wissen nur, dass wir eine Strecke miteinander reisen, und dann trennen sich unsere Wege wieder.“
(S.42)
Wie man unschwer merkt: Dieser kleine, feine Roman ohne großes Getöse hat absolut meinen Nerv getroffen, mich berührt, mich begeistert und es ist eins dieser Bücher, die mich ins Schwärmen, ja ins Schwelgen geraten lassen.
Schöner und stimmungsvoller kann Sommerlektüre kaum sein und selbst für den Zauber dieser Jahreszeit und was daraus entstehen kann, hat Modick in meinen Augen wunderbare Worte gefunden:
„Auch die Erinnerung hat ein Klima, hat Flora und Fauna. Der wahre Sommer ist niemals der, den man gerade erlebt, sondern der andere, lichtdurchwobene, dufterfüllte, wundervolle, an den man sich eines Tages erinnert. Die heimatliche Sonne leuchtet heller in der Fremde, die Gärten der Kindheit duften stärker in der Erinnerung. Was verloren geht, das gerinnt zum Bild. Oder wird zu einer Geschichte.“
(S.74)
Ich will hingegen nicht mehr viele Worte machen: Wer ein ästhetisches, sinnliches und wohltuendes Buch für den Sommer, den Liegestuhl oder den Tag am See sucht: hier ist es – am besten selbst lesen. Die Empfehlung kommt von Herzen und daher genießt den Sommer, schafft Euch schöne Erinnerungen, geht in die Natur wie unsere Titelfigur und lasst es Euch gut gehen!
„Keyserling empfiehlt sich beizeiten, unternimmt lieber noch eine kleine Flanerie an den See hinunter.“
(S.91)

Mit „Keyserlings Geheimnis“ habe ich einen weiteren Punkt meiner „24 für 2024“ erfüllt – Punkt Nummer 12) auf der Liste: Ich möchte ein Buch, in dem Malerei eine Rolle spielt lesen. Während der Lektüre darf man der Entstehung eines Gemäldes beiwohnen, also Punkt in meinen Augen ganz klar erfüllt.

Buchinformationen (gebundene Ausgabe):
Klaus Modick, Keyserlings Geheimnis
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-05156-8
oder als Taschenbuchausgabe:
Klaus Modick, Keyserlings Geheimnis
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-05335-7
***
Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Klaus Modicks „Keyserlings Geheimnis“:
Für den Gaumen (I):
Wenn in einem Buch „Waldmeisterbowle“ (S.198) serviert wird, dann kann dieses ja nur nach meinem Geschmack sein und passt daher perfekt auf meinen Blog.
Für den Gaumen (II):
Der Speiseplan am Starnberger See ist sommerlich leicht und regional angehaucht:
„Bei ihrem Spaziergang am Seeufer haben sie von einem Fischer geräucherte Forellen gekauft. Die gibt es nun zu Salat und Brot (…)“
(S.44)
Für den Gaumen (III):
Da ging es in Keyserlings alter Heimat schon herzhaft-deftiger zu:
„Nach der Suppe wurden Ligsdinas gereicht, das lettische Nationalgericht: Hackfleischklopse, gefüllt mit hart gekochten Eiern und Pfifferlingen, die die Dorfkinder in den Wäldern sammelten, mit Kartoffeln, serviert in der Bouillon, in der sie gekocht wurden – und als Krönung der Kreation der unvermeidliche Klecks Schmand.“
(S.106)
Für den Gaumen (IV):
Und weil wir gerade schon so schön dabei sind, eine Nachspeise darf natürlich auch nicht fehlen und wer könnte da widerstehen:
„Er bestellt Mokka und Rhabarberbaiser, genießt den weiten Blick über das blau schimmernde Gestade des Starnberger Sees mit der Roseninsel (…)“
(S.137)
Zum Weiterschauen oder Weiterklicken:
Im Vorsatzpapier dem Buch vorangestellt ist eben jenes Porträt, das Lovis Corinth von Eduard von Keyserling gemalt hat und das heute in der Neuen Pinakothek bzw. aktuell aufgrund der Renovierung gerade in der Alten Pinakothek zu sehen ist. Oder man klickt einfach mal hier auf die Homepage der Münchner Pinakotheken.
Zum Weiterlesen (I):
Schon einige Male ist mir Franziska von Reventlow bei meinen Lektüren begegnet. Von ihr selbst habe ich noch nichts gelesen, das sollte ich wohl auch mal ändern. Vielleicht ja mit ihrer Beschreibung der Schwabinger Bohème „Herrn Dames Aufzeichnungen: oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil“.
In Modicks Roman kommt sie nicht allzu gut weg, sondern erntet eine ziemlich schnippische Charakterisierung, aber davon werde ich mich sicherlich nicht abhalten lassen:
„Die spitzzüngige Gräfin, weder verwandt noch verschwägert mit den Keyserlings, gehört unter all den Betriebsnudeln, Wichtigtuern und Möchtegernkünstlern zu den Umtriebigsten.“
(S.17)
Franziska zu Reventlow, Herrn Dames Aufzeichnungen: oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil
Marix Verlag
ISBN: 978-3-86539-374-6
Zum Weiterlesen (II):
Vor vielen, vielen Jahren habe ich Eduard von Keyserlings „Wellen“ gelesen – damals in einer Ausgabe der SZ Bibliothek. Da diese bereits 2004 erschienen ist, wird das wohl schon fast zwanzig Jahre her sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob die noch irgendwo in meinen Regalen schlummert. Lust auf eine erneute Lektüre hätte ich – also falls nicht, gibt es ja auch immer noch eine aktuelle, neue Taschenbuchausgabe auf dem Buchmarkt:
Eduard von Keyserling, Wellen
Suhrkamp
ISBN: 978-3-458-34682-1
Wieder eine wunderbare, die Phantasie anregende Buchbesprechung, Barbara! Ganz besonders für mich insofern, als dass das von Dir gewählte, sehr berührende Zitat von Seite 74 so gut mit meinem „Augenblick der Seligkeit“ harmoniert, der mir noch sehr nah ist.
Herzliche Grüße und einen schönen Sommer, Bettina
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Das freut mich sehr, liebe Bettina! Dir weiterhin einen feinen Sommer mit weiteren Augenblicken der Seligkeit! Viele Grüße, Barbara
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Wie schön. Der liegt schon bei mir und kommt gleich als nächstes 🤗
LG Nicole
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Sehr schön. Dann wünsche ich Dir ganz viel Freude bei der Lektüre und sende herzliche Sommergrüße! Liebe Grüße, Barbara
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Danke Barbara….nun hat aber der aktuelle TC Boyle ihm den Rang abgelaufen. Den musste ich gleich anfangen 🙂
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Alles zu seiner Zeit. 🙂 Der Sommer bleibt uns ja noch ein wenig erhalten. 😉 Wenn man Freude hat am Lesen, dann ist das doch die Hauptsache… herzliche Sommergrüße aus der Hitze und lass es Dir gut gehen! Barbara
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Oh, dann muss ich mir dieses Buch unbedingt auf die Einkaufsliste setzen. Danke für den Hinweis. Und weiterhin viele schöne Funde!
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Dankeschön, Anna. Ich mochte es wirklich sehr und für mich war es wirklich ein perfektes Sommerbuch! Viele Grüße und eine feine Sommerzeit! Barbara
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„Fanny“ kam bei wenigen gut weg, sie war eine eigenwillige Dame, die ihren Weg ging, dafür einen hohen Preis zahlte. Ich wünsche dir eine gute Lektüre.
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Dankeschön, Sandra. Ich bin jetzt wirklich neugierig geworden und bin gespannt, was Fanny mir heute zu erzählen hat. Viele Grüße!
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Echt schöne Buchbesprechung! 💐
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Dankeschön! Es freut mich, wenn sie gefällt. Herzliche Grüße!
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Eine wunderbare Sommerlektüre – zum Immer-wieder-Lesen!
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Schön, die Bestätigung freut mich sehr. Ich kann mir bei diesem Buch auch sehr gut vorstellen, es ein weiteres Mal zu lesen. Sonnige Sonntagsgrüße und einen schönen Sommer!
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Von Modick stammt ja auch „Konzert ohne Dichter“ über Rilke und Worpswede, daran hat mich deine Besprechung gerade erinnert. Danke für den Tipp!
Morgenkaffeegrüße ☀️🌳🌻☕🍪
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Gern geschehen, liebe Christiane.
„Konzert ohne Dichter“ habe ich auch noch bei mir im Regal stehen.
Ich denke, das sollte ich auch nicht mehr zu lange warten lassen… 🙂
Herzliche Sommersonntagsgrüße! 🍓☀️🌻☕️
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