Novemberbowle 2024 – Dauergrau und Zuversichtspflicht

Kein einfacher Monat dieser November – denn die Nachrichtenlage und das Dauergrau bildeten eine diffuse, düstere Nebelwand, die oft nur schwer zu durchdringen war. Und doch bleibt mir diesen Monat auch das Zitat bzw. der Gedanke hängen, dass es trotz allem eine „Pflicht zur Zuversicht“ geben sollte.

Und so werde ich diesen Blogbeitrag wieder darauf fokussieren, das Schöne zu sehen und zu beschreiben bzw. die Aufmerksamkeit auf die kulturellen und literarischen Glanzlichter zu lenken, die das Grau durchbrochen und diesen November für mich eben auch ausgemacht haben – wie die ersten Schneeflocken, die ebenfalls schon vom Himmel tanzten.

Eine ganz besondere Produktion durfte ich diesen Monat im Theater Regensburg mit Leonard Bernsteins Operette „Candide“ erleben. Ein innovatives Konzept mit Live-Zeichnungen, die aus dem Orchestergraben in Echtzeit auf die Bühne projiziert wurden, machten diesen Theaterabend zu einem ganz besonderen Erlebnis.

Um Zuversicht und ums Mut machen ging es auch bei den 22. Landshuter Literaturtagen mit dem Motto „Geht doch! – Bücher, die Mut machen“. Die Lesung mit Lisa Gusel und Christian Muggenthaler, die unter dem Titel „Derf’s a wengerl mehr sei?“ Texte von bayerischen Autorinnen und Autoren wie Emerenz Meier, Ludwig Thoma, Gerhardt Polt, Karl Valentin und vielen weiteren mehr zu Gehör brachte, war ein eindrucksvolles Plädoyer für die aufmunternde und stärkende Kraft der Literatur. Großartig!

Und auch für Spannung war gesorgt, denn das Theater Nikola brachte mit „Sherlock Holmes – Das falsche Paket“ ein fulminantes Live-Hörspiel auf die Bühne. Ein wunderbares Theatererlebnis mit Wohnzimmeratmosphäre vor ausverkauftem Haus – tolles Konzept, grandiose DarstellerInnen… nicht nur für Fans von Sherlock und Watson ein ganz besonderer Abend.

Und ein britischer Fernsehtipp sei auch noch erwähnt:
Bis zum 30. Januar 2025 gibt es in der ARTE-Mediathek noch die 3-teilige Kurzserie „Stonehouse“ zu sehen, die man bei ausreichend Zeit auch sehr gut an einem Abend sehen kann. Die Serie erzählt die verblüffende Geschichte des britischen Labour-Abgeordneten John Stonehouse, der in den 60er Jahren nicht nur für den tschechoslowakischen Geheimdienst spionierte, sondern auch noch seinen eigenen Tod vortäuschte… Sie basiert auf einer wahren Begebenheit und ist sehr gut besetzt, unter anderem mit Keeley Hawes, die einigen wohl vor allem als Louisa Durrell („Die Durrells auf Korfu“) bekannt sein sollte.

Die November-Lektüre lässt sich ebenfalls sehen:
Mein Vorhaben des Skandinovember, d.h. mich einmal quer durch den hohen Norden zu lesen, konnte ich umsetzen.

Mit Stine Pilgaards „Lieder aller Lebenslagen“ ging es nach Dänemark und ich durfte folgende Lebensweisheit kennenlernen:

Ein Leben ohne Feste ist wie ein langer Weg ohne Wirtshaus (…)“

(aus Stine Pilgaard „Lieder aller Lebenslagen“, S.73)

Ava Ólafsdóttirs „Miss Island“ nahm mich mit in die Sechziger Jahre auf der Insel im hohen Norden und ich habe die Geschichte über zwei Außenseiter, die sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen stellen, sehr gerne gelesen.
Eine ausführliche Besprechung findet Ihr auf Constanzes Blog Zeichen & Zeiten.

Nobelpreiswürdig ging es weiter nach Norwegen mit Jon Fosses schmalem Band „Das ist Alise“. Ein Buch wie gemacht für den November – gefangen in einer Endlosschleife der Trauer über den Verlust des Partners – erinnert dieser meditative Monolog voller Wiederholungen nahezu an einen Rosenkranz.

„(…) und obwohl es noch Nachmittag ist, ist es so dunkel, als wäre der Abend schon da, so ist es in dieser Jahreszeit, im Spätherbst, denkt er, und nicht mehr lange, dann ist es immer nur dunkel, den ganzen Tag lang, überhaupt kein nennenswertes Licht mehr, denkt er und es tut gut zu gehen, er geht gern, denkt er, klar braucht es manchmal Überwindung rauszugehen, aber wenn man erst mal draußen ist, dann tut es gut, und es gefällt ihm, (…)“

(aus Jon Fosse „Das ist Alise“, S. 34)

Mit einer tragischen und ernsten Thematik (ich will allerdings nicht spoilern) ging es auch in dem Mutter-Tochter-Roman „Kaffee mit Milch“ von Ella-Maria Nutti weiter, der die emotionale Distanz zwischen den beiden Frauen ebenso überbrücken muss wie die räumliche zwischen dem nordschwedischen Gällivare und der Hauptstadt Stockholm im Süden des Landes.

Und last but not least durfte natürlich auch Finnland bei dieser literarischen Skandinavienreise nicht fehlen: Petra Rautiainens Roman „Land aus Schnee und Asche“ entführte mich nach Lappland. Der starke Debütroman der Autorin erzählt eine Geschichte aus dem Jahr 1947 und der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg.

„Im Licht des Sommers ist alles anders. Es ist seltsam, dass dies derselbe Ort sein soll wie im Winter. Wenn es hell ist, begreift man, wie gewaltig die Dunkelheit ist. Daran gewöhnt man sich zu jeder Jahreszeit. Dass es kein Licht gibt, sondern einzig und allein Dunkelheit.“

(aus Petra Rautiainen „Land aus Schnee und Asche“, S.174)

Einen deutlichen Kontrast bildete dann die Lektüre von Amor Towles „Eve“ – eine glamourös-abgründige Geschichte aus dem Hollywood der Dreißiger Jahre. Geschliffen, spitzzüngig, zynisch – unter anderem mit folgender Erkenntnis:

„Die Persönlichkeit eines Mannes ist immer das größte Hindernis in seiner Herzensbildung, dachte Charlie. Er ist entweder zu stolz, zu dickköpfig oder zu scheu, sich auf den Prozess der Entdeckung einzulassen. Im Leben ergeben sich viele Lektionen aus Irrungen und Wirrungen, und die Kosten dieser Lektionen sollten nicht geringgeschätzt werden. Wenigstens die Hälfte dessen, was ein Mann in seinem Leben nicht gelernt hat, hätte er mit Leichtigkeit lernen können. Diese Einsicht gewinnt man mit dem Alter – wenn man das Wesen von Entdeckungen besser versteht, aber nicht mehr die Zeit oder die Energie hat, sich auf das Abenteuer einzulassen. Und somit müssen wir unsere Tage in Unwissenheit beenden, was größtenteils allein uns selbst zuzuschreiben ist.“

(aus Amor Towles „Eve“, S.103/104)

Im Lesekreis diskutierten wir Marc-Uwe Klings Bestseller „Views“, der mich persönlich nicht überzeugen konnte, aber vielleicht das Thema Künstliche Intelligenz und ihre Risiken an eine breitere Öffentlichkeit herantragen kann.

Sehr gut in den November passte auch Irma Nelles’ Roman „Die Gräfin“, der eine Geschichte aus dem Leben der Hallig-Gräfin Diana von Reventlow-Criminil erzählt. Als ein britischer Pilot 1944 in der Nähe ihrer Hallig mit dem Flugzeug abstürzt, muss sie eine Entscheidung treffen…
Tragisch allerdings auch, dass die 78-jährige Autorin selbst kurz nach dem Verfassen ihres Debütromans 2024 verstarb und jetzt die Rezeption desselben nicht mehr erleben kann.

In aller Munde war diesen Monat erneut auch Joachim Meyerhoff, dessen neuer Roman erschien und gleich auf die Bestsellerliste kletterte. Ein willkommener Anlass, dass ich endlich Band vier seiner Reihe aus dem Regal holte und wieder mit Genuss gelesen habe: „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“.

Ganz ohne Krimi ging es auch im November nicht: Über Janice Halletts Theaterkrimi „Die Aufführung“ werde ich bald noch ausführlicher berichten.

Durch den November begleitet haben mich aber auch „Gedichte“ und zwar die von Rose Ausländer (1901 – 1988). Geboren in Czernowitz hat die Jüdin, die später in Rumänien, den USA, Österreich und Deutschland lebte, ihre Lebensgeschichte und auch den Holocaust in ihrer Lyrik verarbeitet.

Und ernst ging der Lektüremonat für mich auch zu Ende mit Bertolt Brechts Klassiker „Mutter Courage und ihre Kinder“, den ich als Vorbereitung für einen baldigen Theaterbesuch gelesen habe.

Was bringt der Dezember?

Den kulturellen Auftakt wird der Besuch von „Mutter Courage und ihre Kinder“ im Landestheater Niederbayern bilden. Nach der Lektüre bin ich jetzt gespannt auf die Inszenierung und auf Antonia Reidel als Mutter Courage.

Der Lesekreis hat mit Elizabeth Strout „Am Meer“ für den Dezember einen Roman ausgesucht, der ohnehin auf meiner Wunschliste stand.

Und heute beginnt auch die schöne Zeit der Adventskalender, wie zum Beispiel der wunderbaren Adventüden, die auf Christianes Blog 365tageasatzaday bzw. „Irgendwas ist immer“ zu finden sind und die mich täglich durch den Dezember begleiten werden.

Als Adventskalenderbuch für dieses Jahr habe ich mir das kleine Reclam-Heft „Advent mit den Peanuts“ ausgesucht, das mich hoffentlich zum Lächeln und Schmunzeln bringen wird.

Und was wäre der Advent ohne Konzerte, wie zum Beispiel das traditionelle Adventskonzert aus der Dresdner Frauenkirche, das vom ZDF am 8. Dezember um 18.00 Uhr ausgestrahlt wird (und sicher auch wieder in der Mediathek verfügbar sein wird.)

Denkt aber bitte auch an die Advents- und Weihnachtskonzerte in Eurer Nähe, für welche die Chöre, die Musikerinnen und Musiker die letzten Wochen und Monate fleißig geprobt haben und sich jetzt darauf freuen, dem Publikum wunderbare Musik zu präsentieren. Solche Konzerte können mit ihrer Festlichkeit wunderbare ruhige und besinnliche Momente zum Innehalten während der (oft hektischen) Vorweihnachtszeit sein.

Geht ins Konzert, genießt den Advent mit allem, was für Euch zu einer gelungenen Vorweihnachtszeit dazugehört, und kommt zuversichtlich und wohlbehalten durch den Dezember!

Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils auf den farbig hinterlegten Titeln verlinkt und ein Klick führt direkt zum jeweiligen Beitrag, wo dann auch die entsprechenden bibliographischen Angaben zu finden sind.

Gaumen-Highlight November:
Inspiriert von Olas Blogbeitrag (danke dafür!), der zwar schon eine Weile zurückliegt, aber mir immer noch im Kopf geblieben ist, gab es im November Nahrung fürs seelische Wohlbefinden, und zwar Shepherd’s Pie in einer vegetarischen Variante (die das Hackfleisch ganz einfach durch Linsen ersetzt). Sehr fein – das verlangt nach Wiederholung!

(Für alle, die gegebenenfalls präzise Mengenangaben brauchen, gibt es unter anderem auch noch ein Rezept auf essen&trinken.

Musikalisches im November:
Eine Entdeckung war diesen Monat ohne Zweifel das Poesie-Projekt „Was ist Liebe“ von Schönherz & Fleer. Zum Beispiel die Interpretation von Mascha Kalékos Gedicht „Letztes Lied“ von Ann-Kathrin Kramer berührt mich sehr.

Der Novembertag

Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.

Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlußoktaven.

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926)

9 Kommentare zu „Novemberbowle 2024 – Dauergrau und Zuversichtspflicht

    1. Danke, Bettina! Ja, die Konzerte von diesem besonderen Ort sind immer stimmungsvoll und für mich ein liebgewonnener „Pflichttermin“ in der Advenstzeit! Ich wünsche Dir einen schönen Dezember und einen guten Advent! Herzliche Grüße! Barbara

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  1. Danke dir für die Empfehlung, liebe Barbara. Es freut mich natürlich, dass dir die Adventüden so gut gefallen, aber ich habe heute so einige Adventskalender online entdeckt, die alle nicht von schlechten Eltern (Blogger*innen) sind und auf deren Lesen ich mich sehr freue.
    Dir eine schöne Vorweihnachtszeit! ☕🕯️🍪
    Spätnachmittagskaffeegrüße 🌌❄️☕🕯️

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    1. Sehr gerne, liebe Christiane. Es war mir ein Bedürfnis, auch wenn ich es dieses und letztes Jahr leider nicht geschafft habe, selbst einen Beitrag dazuzusteuern. Mal sehen, was das nächste Jahr bringen wird. Herzliche Adventsonntagsabendgrüße ❄️🍷🍪🕯️

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    1. Dankeschön, Constanze und gern geschehen. Ich weiß, dass ich bei Dir und Deinem Blog in punkto skandinavischer bzw. nordischer Literatur immer sehr gut beraten bin. Diese Leidenschaft teilen wir ganz offensichtlich. 🙂 Mir hat der Skandinovember große Lesefreude bereitet. Es liegt noch einiges hier auf meinen Stapeln, aber für gute Tipps bin ich immer empfänglich. 😉 Herzliche Grüße und Dir auch eine gute, hoffentlich nicht allzu stressige Adventszeit! Barbara

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