Kerzen, Klippen, Krimikunst

Stück für Stück bzw. Roman für Roman erschließe ich mir das Werk der schottischen Autorin Josephine Tey (1896 – 1952). Bei Oktopus (Kampa) ist jetzt der letzte noch fehlende Fall mit Inspector Alan Grant „Ein Schilling für Kerzen“ neu aufgelegt worden. D.h. im Gegensatz zum ersten Erscheinen in deutscher Sprache 1983 als „Klippen des Todes“ hat sich der Verlag nun auch im Deutschen für den englischen Originaltitel aus dem Jahr 1936 „A Shilling for Candles“ entschieden.

Der Titel passt gut in die Sommerzeit, zumal er in einem kleinen Badeort an Englands Südküste spielt. Dorthin hat sich die bekannte Schauspielerin Christine Clay für eine Weile zurückgezogen und ein Häuschen gemietet. Doch als sie plötzlich am Strand tot angespült wird, ist es mit der Ruhe im Ort schlagartig vorbei.

Ein Badeunfall? Selbstmord? Oder doch Mord?
Der Scotland Yard-Inspector Alan Grant beginnt zu ermitteln und stößt bald auf mehr Verdächtige als ihm lieb ist. Und auch die Testamentseröffnung hält noch eine Überraschung bereit, denn was bringt einen Menschen dazu, dem eigenen Bruder nur einen Schilling für Kerzen zu vererben?

„Ein Schilling für Kerzen. Welcher Familienstreit hatte eine solche Wunde geschlagen, dass sie sie noch in ihrem Testament verewigen wollte?“

(S.191)

Heute möchte ich mal ein wenig ergründen, was für mich den Reiz der Krimis von Josephine Tey ausmacht. Warum tauche ich jedes Mal mit solchem Genuss in ihre Romane ab?

Zum einen hat sie ein sehr feines Auge bzw. eine unbestechliche Beobachtungsgabe für Menschen und ihre Verhaltensweisen. Ich schätze ihre ausgefeilte Figurenzeichnung sehr.

„Nicht nur die ‚elegante‘ Gesellschaft war in Scharen gekommen, sondern auch das, was Jimmy in Gedanken immer ‚Herzoginnen auf Urlaub’ nannte und was für genau die richtige Beimengung an blauem Blut sorgte: spitz beschuhte, spitznasige Spitzen der Gesellschaft, die von ihrem Vermögen lebten und nicht von ihrem Verstand. Und garniert war natürlich alles von einer guten Anzahl komischer Käuze.“

(S.229)

Und wie diese Textstelle auch belegt, nimmt sie sich selbst und die britische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts nicht allzu ernst und versteht es, sich auf humor- und stilvolle Weise mit ihrem sozialen Umfeld auseinanderzusetzen. Das hat Witz und Esprit, ist süffisant und vor allem sehr amüsant und kurzweilig zu lesen. Kurz gesagt: ich mag ihre Art von Humor.

„Charme. Die hinterhältigste Waffe im Arsenal des Menschengeschlechts. Und da konnte er sie gerade in Aktion sehen, direkt vor seiner Nase.“

(S.49)

Zudem empfinde ihre Krimis auch deshalb als sehr erholsam, weil sie – aufgrund ihrer Entstehungszeit in den Dreißiger Jahren – ja auch noch gänzlich ohne technischen Schnickschnack auskommen. Keine Handies, keine GPS-Ortungen, keine DNA-Analysen… da wird noch mit althergebrachten Methoden ermittelt. D.h. ich mag das Nostalgische und das Tempo ihrer Romane, das sich flott und flüssig liest, aber ohne übertriebene Hektik auskommt.

„So bezog also Grant Stellung hinter einem kleinen Stapel billiger Buchausgaben am Ende des Tresens und stellte fest, dass der Morgen weniger langsam verging als befürchtet. Auch nach so vielen Jahren im Polizeidienst hatte Grant nie sein Interesse an den Menschen verloren – außer in Momenten der Niedergeschlagenheit -, und Interessantes gab es zu Hauf.“

(S.253)

Und ich mag natürlich auch ihre Schauplätze in Großbritannien – dieses Mal ein Badeort an der Südküste – in anderen Fällen eine schottische Insel, ein idyllischer Künstlerort, das Londoner Westend usw. Herrlich diese britische Brise, die mir da immer um die Nase weht…

Und last but not least habe ich auch Gefallen an ihren Figuren und den Milieus, die sie schildert. Als Autorin zahlreicher Theaterstücke sind das ja auch in ihren Kriminalromanen gerne Künstlerkreise, Schauspielerinnen und Schauspieler, die in die Hauptrollen schlüpfen oder eben der oben beschriebene Adel und Möchtegern-Adel.

Fünf Krimis von Josephine Tey, die nicht umsonst zu den Vertreterinnen des goldenen Zeitalters des Kriminalromans gezählt wird und sich hier unter anderem in eine Reihe mit Agatha Christie und Dorothy L. Sayers stellen lässt, habe ich mittlerweile gelesen. Und ich freue mich darauf, dass ich noch ein bisschen etwas vor mir habe. Für den Herbst 2025 hat der Oktopus (Kampa) Verlag „Der falsche Erbe“ (Originaltitel: Brat Farrar) angekündigt – da werde ich mich dann wieder in die britische Krimiwelt begeben: ein Anwesen in Südengland, steile Klippen und eine Erbschaft… auch da scheint wieder alles dabei zu sein, was Josephine Tey für einen guten Kriminalroman braucht.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Oktopus (Kampa) Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Josephine Tey, Ein Schilling für Kerzen
Aus dem Englischen von Manfred Allié
Oktopus
ISBN: 978-3-311-30073-1

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Josephine Teys „Ein Schilling für Kerzen“:

Für den Gaumen:
Nach dem Bad im Meer kann es schon sein, dass man Hunger bekommt – doch natürlich nur vorausgesetzt, dass man dieses überlebt:

„Er spähte in eine Papiertüte mit zwei schon recht verhutzelten Rosinenbrötchen. „Oh, die hatte ich mitgenommen, damit sie etwas zu essen hat. Etwas anderes habe ich nicht gefunden. Als Kinder haben wir immer ein Brötchen bekommen, wenn wir aus dem Wasser kamen. Ich dachte, vielleicht freut sie sich, wenn ich ihr was mitbringe.“

(S.19/20)

Zum Weiterschauen:
Josephine Teys Krimi wurde 1927 von Alfred Hitchcock verfilmt, trägt da allerdings den Titel „Jung und unschuldig“ bzw. „Young and innocent“. Wieder mal ein Hitchcock-Film, den ich bislang noch nicht gesehen habe. Da werde ich wohl mal die Augen offen halten – auch wenn er sich inhaltlich wohl deutlich von der Romanvorlage entfernt.

Zum Weiterlesen (II):
Passend zu dieser Hitchcock-Verfilmung und natürlich zu Josephine Tey ist Nicola Upsons Krimi „Tödliche Sommerfrische“. Darin ermittelt Josephine Tey an der Seite eines Scotland Yard-Ermittlers im walisischen Portmeirion und trifft dort auf Alfred Hitchcock und seine Frau Alma, die unbedingt ihren Krimi „A Shilling for Candles“ verfilmen wollen.

Nicola Upson, Tödliche Sommerfrische
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck
Kein&Aber
ISBN: 978-3-0369-5049-5

Zum Weiterlesen (II):
Oder man greift natürlich zu weiteren Krimis des Originals, die wirklich durchgängig zu empfehlen sind. Hier geht es zu meinen bisherigen Rezensionen von Josephine Teys Krimis Nur der Mond war Zeuge, Alibi für einen König und Der letzte Zug nach Schottland“, „Wie ein Hauch im Wind“.

Josephine Tey, Nur der Mond war Zeuge
Aus dem Englischen von Manfred Allié
Kampa
ISBN: 978 3 311 30025 0

Josephine Tey, Alibi für einen König
Aus dem Englischen von Maria Wolff
Oktopus bei Kampa
ISBN: 978-3-311-30035-9

Josephine Tey, Der letzte Zug nach Schottland
Aus dem Englischen von Manfred Allié
Oktopus
ISBN: 978-3-311-30032-8

Josephine Tey, Wie ein Hauch im Wind
Aus dem Englischen von Manfred Allié
Oktopus
ISBN: 978-3-311-30056-4

7 Kommentare zu „Kerzen, Klippen, Krimikunst

  1. Die Krimis von Josephine Tey sind einfach großartig. Deine Gründe, worin der besondere Reiz ihrer Bücher besteht, kann ich nur teilen. Ich habe sie verschlungen, aber den neuen Roman kenne ich noch nicht. Nach deiner fundierten Besprechung steigt die Vorfreude.

    Auch Nicola Upson, die du erwähnst, schreibt sehr gut. Sie bindet Josephine Tey, eine reale historische Person, in ihre Fälle mit ein, was ich mutig finde. Anfangs hatte ich Bedenken, dass J. T. vereinnahmt wird, aber es hält sich in überschaubaren Grenzen.

    Eine schöne Zeit mit viel sommerlicher Wärme, Inspiration und Muße für dich,

    Hartmut

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    1. Dankeschön Hartmut, für diese schöne Rückmeldung und dafür dass Du die Begeisterung für die Tey-Krimis mit mir teilst. Dir ebenfalls einen schönen und inspirierenden Sommer mit feinen Krimis und der Muße, diese zu genießen! Herzliche Grüße aus dem sommerlichen Niederbayern, das gerade auf das angekündigte Junigewitter wartet! Barbara

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  2. Mir ergeht es bei Krimis ganz ähnlich, ich mag sie auch aus den alten Zeiten, kein Schnickschnack und von ruhigeren Gangart und trotzdem Tiefe und Spannung (also die guten, Geschmäcker sind ja auch verschieden 😅)
    Danke wieder für Deinen Tipp.
    Mit lieben Grüßen
    Nina

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    1. Sehr gerne, liebe Nina!
      Bei dieser Hitze braucht man ohnehin eine ruhigere Gangart… also ich zumindest. 😉
      Ich wünsche Dir eine gute Woche und sende herzliche Grüße aus dem heute wahrlich „hitzigen“ Niederbayern! Barbara

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