Ich liebe Bücher über Menschen, die Bücher lieben und in Veronika Peters’ Roman „Das Herz von Paris“ darf man gleich mehrere Vertreterinnen dieser Spezies kennenlernen. Schauplatz ist die legendäre Buchhandlung Shakespeare and Company im Herzen von Paris im Jahr 1925 und der Roman beschert nicht nur eine wunderbare Zeitreise in die Stadt der Liebe der Zwanziger Jahre, sondern kann zugleich als Hommage an Sylvia Beach, Adrienne Monnier und Djuna Barnes gelesen werden.
„Sehr gut. Ich bin Sylvia. Kommen Sie herein, drinnen sind noch mehr zornige Frauen. Lassen Sie uns gemeinsam einen Tee trinken und das richtige Buch für Sie finden.“
(S.19)
Ann-Sophie von Schoeller – junge Ehefrau aus gutem Berliner Hause – verschlägt es gegen ihren Willen an der Seite ihres Ehemanns nach Paris. Sie hat sich fest vorgenommen, diese Stadt nicht zu mögen, in welcher ihr Mann als Anwalt in der Kanzlei seines Onkels Karriere machen möchte.
Widerstrebend fängt sie daher erst spät damit an, mit einem Baedeker bewaffnet die Stadt zu erkunden – schließlich wird es irgendwann doch langweilig in der kleinen Wohnung den ganzen Tag auf den Gatten zu warten. Bei einem ihrer Spaziergänge landet sie plötzlich zufällig in der Rue de L’Odéon. Vor einem englischen Buchladen namens Shakespeare and Company steht eine charismatische Frau in Männerkleidung und lädt sie ein hereinzukommen. Für Ann-Sophie ein Schritt in eine völlig andere Welt, der ihr Leben verändern wird.
„Willkommen in Odéonia, der freien Republik der Bücherliebenden, dem wahren Herzen von Paris!“ sagte Adrienne. „Hier wird Literatur nicht nur verkauft, sondern auch verliehen, verlegerisch begleitet sowie in eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufenen Zeitschriften gefeiert. (…)“
(S.25)
Im legendären Buchladen der Verlegerin von James Joyce’s „Ulysses“ Sylvia Beach trifft sie auf starke, unabhängige Frauen, die ihr Leben emanzipiert und selbstbestimmt leben. Da wird gelesen, geraucht, diskutiert und abends auch gemeinsam ausgegangen und der eine oder andere Drink genommen. Auch Ann-Sophie, die bald beginnt, als Aushilfe im Laden zu arbeiten, merkt schnell, dass mehr in ihr steckt und sie mehr möchte, als ausschließlich die fügsame Vollzeit-Gattin zu spielen.
„Frauen wie Sylvia, Dunja, Janet und Adrienne übten selbst Berufe aus, statt von ihren Vätern oder Ehemännern abhängig zu sein. Sie reisten autonom durch aller Herren Länder, verkehrten mit erfolgreichen Schriftstellerinnen und mysteriösen Poeten-Genies, sie organisierten skandalträchtige literarische Soireen, gingen abends in ein Café und betranken sich, wenn ihnen danach war.“
(S.46)
Veronika Peters ist es gelungen, eine Handlung und eine Atmosphäre zu erschaffen, bei der man sofort selbst dabei sein möchte. Man will diese zauberhafte Buchhandlung und die starken, wunderbaren Frauen am liebsten selbst kennenlernen, mit ihnen über Bücher sprechen, ein Gläschen trinken und das französische, intellektuelle Savoir-Vivre genießen. Die Charaktere – viele entsprechen natürlich den realen, historischen Persönlichkeiten mit gewissen fiktiven Freiheiten – sind so sympathisch, dass einen die Geschichte sofort in den Bann zieht und nicht mehr loslässt. Schon parallel zur Lektüre war ich am recherchieren und Notizen machen, worüber ich mehr wissen will oder was ich weiter lesen möchte – eine wirklich inspirierende Lektüre.
„Du musst lesen! Literatur bestärkt und befreit eine geschundene Seele, führt ins Weite, bringt lang unterdrückte Emotionen an die Oberfläche, lässt uns über den eigenen beschränkten Horizont hinauswachsen!“
(S.54)
Sylvia Beach eröffnete die englischsprachige Buchhandlung Shakespeare and Company 1919 gegenüber dem Buchladen ihrer späteren Lebensgefährtin Adrienne Monnier und schloss diesen 1941 nach der Besetzung Paris’ durch die Deutschen im zweiten Weltkrieg. 1922 verlegte sie Ulysses von James Joyce und ihr Laden galt als Treffpunkt der Literatur- und Kunstszene. Im Roman begegnen wir ihr gemeinsam mit der Hauptfigur Ann-Sophie im Jahr 1925.
Auch wenn das eine oder andere im Roman vielleicht etwas idealisierend oder verklärt beschrieben wird, tut dies der Lesefreude keinerlei Abbruch. Es ist ein Buch über Emanzipation, über starke, unabhängige Frauen, über Selbstverwirklichung, Literatur und Schriftstellerei, sowie eine Welt im Wandel.
„Das Herz von Paris“ ist ein Herzensbuch für BücherliebhaberInnen – so trostspendend wie eine Badewanne voller Schaum oder die Lieblingskuscheldecke auf der Couch. Ein Buch zum Reinlegen und genießen. Beim Lesen fühlt man sich wie bei einem gelungenen Mädelsabend mit guten Freundinnen und es ist schade, wenn die letzte Seite umgeblättert und das Vergnügen schon wieder vorbei ist.
Eine herzerwärmende Hymne über Paris, den Zauber von Buchläden und die erstaunliche Kraft der Literatur, Menschen zu ändern.

Mit diesem Buch habe ich einen weiteren Punkt meiner „22 für 2022“ erfüllt – Punkt Nummer 10) auf der Liste: Ich möchte ein Buch mit Paris als Schauplatz lesen. Doch mein nächster literarischer Besuch in der französischen Hauptstadt wird sicherlich nicht lange auf sich warten lassen – es liegt schon weitere Paris-Lektüre auf meinem Stapel bereit.
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Oktopus / Kampa Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.
Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.
Buchinformation:
Veronika Peters, Das Herz von Paris
Oktopus / Kampa Verlag
ISBN: 978-3-311-30019-9
***
Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Veronika Peters’ „Das Herz von Paris“ :
Für den Gaumen:
Einen ziemlich stilvollen, aber ordentlichen Absturz beschert den Damen und insbesondere Ann-Sophie der Genuss eines klassischen Pariser Cocktails – dem Monkey Gland. Laut Wikipedia ein „alkoholhaltiger Cocktail aus Gin, Orangensaft, Absinth und Grenadine“, der erstmals in den 1920er Jahren in Paris zubereitet wurde – das Rezept der International Bartenders Association findet sich ebenso bei Wikipedia.
Zum Weiterlesen (I):
Rimbaud’s „Le bateau ivre“ spielt im Roman ebenso eine Rolle wie die Werke von Colette oder James Joyce. somit ist der Roman über den legendären Pariser Buchladen natürlich voll von neuen Inspirationen und Leseanregungen.
Arthur Rimbaud, Das trunkene Schiff
Übersetzt von Paul Celan
Insel Bücherei 1300, Insel Verlag
ISBN: 978-3-458-19300-5
Zum Weiterlesen (II):
Nach der Lektüre ist zudem ein ganz klares „Muss ich unbedingt lesen“-Buch auf meine Wunschliste gelangt: Sylvia Beach’s eigenes Buch über ihren Buchladen in Paris „Shakespeare and Company – ein Buchladen in Paris“. Ich möchte definitiv noch mehr über diesen legendären Buchladen, das Paris der Künstler und Schriftsteller und die Buchhändlerin und Verlegerin erfahren – eine spannende Persönlichkeit.
Sylvia Beach, Shakespeare and Company – ein Buchladen in Paris
Aus dem Amerikanischen von Lilly von Sauter
Suhrkamp Taschenbuch
ISBN: 978-3-518-37323-1
Was hätte sein können, wenn nicht jemand Größenwahnsinniges den luftigen Lebensstil der Zwanziger Jahre zerstört hätte und uns gefühlte tausend Jahre zurückgeworfen hat. Ich liebe diese Periode der mittleren zwanziger Jahre, wo alles möglich schien. Bisher immer aus einer Berliner Perspektive. Jetzt Paris, welch schöne Ergänzung. Kommt auf die Liste
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Ja, künstlerisch und literarisch werden die Zwanziger Jahre – ob nun in Berlin oder Paris – gerade sehr gerne in den Fokus gerückt. Mich haben vor allem die starken Frauen in diesem Roman beeindruckt – und natürlich das Flair dieses ganz besonderen und legendären Buchladens im Herzen von Paris – da geht einfach jedem, der Bücher liebt, das Herz auf. Viel Freude beim Lesen!
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Oh ja, das ist ein Buch für mich. Kann Dir Sylvia Beachs Roman wirklich ans Herz legen, hat mir sehr sehr gefallen. So einen Kurztrip nach Paris, den kann ich jetzt wirklich gebrauchen. Danke für den Tipp!
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Sehr gern geschehen. Und danke Dir für die Bestätigung, dass ich Sylvia Beach’s „Shakespeare and Company“ wirklich unbedingt bald – sehr bald – lesen muss. Nach diesem Roman möchte ich nämlich unbedingt die „Originalstimme“ auch noch kennenlernen. Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende!
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Wie wunderbar! Noch eine Frankreich-Lektüre, und dann noch in Paris!
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Liebe Malin! Ja, ich hatte mir ja auch vorgenommen (in meinen 22 für 2022), dieses Jahr ein paar europäische Hauptstädte zumindest literarisch zu besuchen – und da war Paris auch auf der Liste. Für mich eine wunderbare, inspirierende Lektüre, welche Dir sicherlich auch gut gefallen könnte, da Du ja gerade Lust auf das französische Savoir-vivre hast, wie Du mir bei „Belles amours“ verraten hast. 😉 Herzliche Grüße nach Schweden und à bientôt!
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