Schon vor einiger Zeit – die Rezensionen haben sich ein wenig aufgestaut – habe ich zwei sehr amüsante und unterhaltsame Frankreich-Krimis gelesen. Einen Maigret-Klassiker von Georges Simenon und einen aktuell erschienenen neuen Lacroix-Band, der sich im besten Sinne vom großen Altmeister hat inspirieren lassen: Alex Lépic’ neuester Fall „Lacroix und der blinde Buchhändler von Notre-Dame“ und Georges Simenon’s „Maigret amüsiert sich“ – im Doppelpack gelesen wirklich ein kurzweiliger und feiner Krimigenuss mit viel französischem Flair. Oh là là!
Die Lacroix-Reihe hat sich bei mir mittlerweile zu einem erfreulichen Lesepflichttermin entwickelt – ich komme an keiner Neuerscheinung mehr vorbei: Auch hier auf der Kulturbowle hatte ich schon „Lacroix und die stille Nacht von Montmartre“ und „Lacroix und das Sommerhaus von Giverny“ vorgestellt.
Jetzt geht es also an die Seine in die Nähe von Notre-Dame und in das Milieu der Bouquinistes. Schon mal ein schöner Schauplatz, an dem sich Bücherliebhaber wie ich durchaus wohl und heimisch fühlen.
Lacroix muss in einem Mordfall ermitteln, denn ein Bouquiniste wurde tot aufgefunden und plötzlich merkt der Commissaire, dass für die Buchhändler an der Seine nicht immer die Sonne scheint. Auch dort wird mit harten Bandagen gekämpft und das Geschäft ist weit weniger romantisch als es zunächst erscheinen mag.
Bei seinen Ermittlungen befragt er auch ein Unikum der Szene: Den blinden Buchhändler, der ohne zu Sehen jedem das perfekte Buch empfiehlt.
„Er ist eine lebende Legende. Er erkennt die Kunden und ihre Charaktere an ihrem Gang und sucht ihnen dann aus seinem riesigen Angebot ein Buch aus, das zu ihnen passt. Keiner weiß, wie er das macht – aber sein Gefühl trügt nie. Man sagt, das Buch, das er einem schenke, habe das Zeug dazu, das Leben des Beschenkten zu verändern.“
(aus Alex Lépic „Lacroix und der blinde Buchhändler von Notre-Dame“, S.73)
Ärgerlich ist nur, dass sein Stammlokal das Chai de L’Abbaye, in dem er sich sonst gerne auch mit seinem Bruder, der Priester ist, auf ein Schwätzchen und meist befruchtenden Gedankenaustausch trifft, gerade renoviert wird und geschlossen hat. So muss er doch tatsächlich in der Pariser Gastro-Szene auf Entdeckungstour gehen und auf andere Lokalitäten ausweichen.
Bei diesem Krimi bekommt man definitiv ganz viel Paris: Man hört das Akkordeon der Straßenmusikanten im Hintergrund, stöbert in der Auslage der Bouquinistes an der Seine und sieht und riecht die blühenden Bäume – denn es ist Frühling. Ein Buch mit der Leichtigkeit eines Urlaubstags, welches das Leben für einen Moment unbeschwerter macht! Französische Krimischwerelosigkeit, die gut tut.
Ähnlich wohltuend und unterhaltsam ist auch Georges Simenon’s 50. Fall für Commissaire Maigret: „Maigret amüsiert sich“.
„Die Zeitungsmeldung hatte seinem Urlaub einen Sinn gegeben, und er war nicht versucht, in sein Büro zu gehen und die Sache in die Hand zu nehmen. Diesmal war er nur Zuschauer, und die Situation amüsierte ihn.“
(aus Georges Simeon „Maigret amüsiert sich“, S.20/21)
Maigret soll endlich mal ausspannen, seine Reisepläne zerschlagen sich und so verbringt er die freien Tage mit Madame Maigret zu Hause in Paris. Sie genießen die ruhigen Tage, spazieren durch die Stadt wie Touristen, speisen auswärts und besuchen Restaurants, die sie schon lange einmal ausprobieren wollten. Und ganz nebenbei erfährt der Kommissar von einem Mord im Ärztemilieu und beginnt zum Zeitvertreib heimlich und nur anhand der verfügbaren Zeitungsmeldungen und aufgrund von Presseberichten zu ermitteln. Ohne Stress zieht er im Hintergrund seine Strippen und schaut einfach mal, ob seine Kollegen auch ohne ihn klar kommen.
„Maigret besaß auch ein Radio, kam aber nie auf die Idee, es anzustellen.“
(aus Georges Simeon „Maigret amüsiert sich“, S.36)
Mittels Zettelchen und Briefchen nimmt Maigret Einfluss auf die Ermittlungen, mischt sich quasi anonym ein und hat einen Riesenspaß dabei. Schon durch diese ungewöhnliche Situation – Maigret hat Urlaub, sitzt zu Hause und ermittelt quasi durch Zeitunglesen und Ferndiagnose – hat dieser Band für mich einen besonderen Reiz.
Ich bin ohnehin immer wieder aufs Neue freudig überrascht, wie zeitlos und unterhaltsam diese Maigret-Krimis auch heute noch sind. Der Band ist immerhin aus dem Jahr 1957 – lange vor meiner Zeit. Das Jahr, in dem der erste Sputnik ins all geschickt, Rosemarie Nitribitt ermordet und Harald Schmidt geboren wird.
Auch dieser Maigret atmet eine gehörige Prise Urlaubsstimmung: gemütlich Zeitung lesen, Flanieren, gut essen – der Kommissar lässt es sich gut gehen und weiß das Leben zu genießen. Und seine Leser sind ähnlich entspannt und vergnügt wie er selbst. Ein grandioser, gemütlicher Maigret für Genießer und Flaneure!
Bei Simenon-Krimis kann man ja ohnehin nichts falsch machen und auch die Lacroix-Reihe ist mir mittlerweile wirklich ans Herz gewachsen.
Zudem finde ich auch die Aufmachung des Kampa-Verlags in beiden Fällen sehr gelungen und die Bücher machen sich optisch wirklich ausnehmend gut im Regal. Schön auch, dass sich das Grün der Kisten der Bouquinistes sogar in der Covergestaltung des neuen Lacroix-Bands widerspiegelt.
So bleibt mir noch ein Fazit zu ziehen: Zwei Krimis ganz nach meinem Geschmack und eine Lektüre mit der erwünschten Leichtigkeit, um sich einfach mal gut unterhalten zu lassen und etwas abzuschalten. Savoir Vivre, Lokalkolorit, gepflegte Kultur und Köpfchen statt blutiger Effekthascherei. Die Kulturbowle hat sich auf alle Fälle mit beiden Büchern prächtig amüsiert. Quel plaisir!

Mit diesem Buch habe ich einen weiteren Punkt meiner „22 für 2022“ erfüllt – Punkt Nummer 7) auf der Liste: Ich möchte einen Krimi von Georges Simenon lesen. Auch wenn ein Maigret gefühlt ja irgendwie kein Maigret und sowieso immer viel zu schnell vorbei ist, habe ich den Punkt erst einmal abgehakt. Aber nach dem Maigret ist ja bekanntlich vor dem Maigret – ein bisschen was liegt schon noch auf meinem Stapel.
Buchinformationen:
Alex Lépic, Lacroix und der blinde Buchhändler von Notre-Dame
Kampa
ISBN: 978-3-311-12541-9
Georges Simenon, Maigret amüsiert sich
Aus dem Französischen von Hansjörgen Wille, Barbara Klau und Oliver Ilan Schulz
Kampa
ISBN: 978-3-311-13050-5
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Wozu inspirierten bzw. woran erinnerten mich die beiden Frankreich-Krimis:
Für den Gaumen (I):
Commissaire Lacroix ist ein wirklicher Genießer und er liebt die chou farci in seinem Stammlokal bei Wirtin Yvette. Was das ist? Eine gefüllte Wirsingkohlroulade, z.B. gefüllt mit Hackfleisch und Esskastanien.
Zudem braucht er seinen regelmäßigen café serré, um klar denken zu können.
Was das ist? Eine sehr starke Kaffee-Variante bzw. ein Espresso, der mit der Hälfte des Wassers zubereitet wird – in Italien auch Ristretto genannt.
Für den Gaumen (II):
Und auch im Hause Maigret duftet es nach Essen, und zwar nach Kalbsbraten und Sauerampfer. Oder aber es gibt ein Glas Calvados und gegrillte Andouillette mit Pommes frites. Gehungert wird also auch beim Original sicher nicht.
Zum Weiterhören:
Beim Titel „Maigret amüsiert sich“ musste ich ständig an „Le roi s’amuse“ von Leo Délibes denken – schöne, feierliche Musik. Aber natürlich auch ein Theaterstück von Victor Hugo, das Grundlage für Giuseppe Verdi’s Oper Rigoletto wurde.
Zum Weiterlesen (I):
In einem Krimi, der sich um die Bouquinistes an der Seine dreht, gibt es natürlich unweigerlich auch Bezüge zu Literatur und Büchern. Und da Paris ja bekanntlich auch für Hemingway ein Fest war, bietet sich unter anderem ein Werk des Literaturnobelpreisträgers des Jahres 1954 an:
Ernest Hemingway, Der Garten Eden
Übersetzung von Werner Schmitz
Rowohlt Taschenbuch
ISBN: 978-3499226069
Zum Weiterlesen (II):
Aber auch ein eher unbekanntes Werk wird gar von einem Bouquinistes verschenkt:
„ Hôtel du Nord ist in Frankreich nicht sehr bekannt, dabei ist es eine Liebeserklärung an den Pariser Norden, ein Werk über den Canal Saint-Martin, über seine raue Vergangenheit und eine Ode an eine längst vergessene Bar, die Geschichte von rauen, einfachen, aber allzu menschlichen Parisern, erzählt von Eugène Dabit. Hier nehmen Sie es, ich schenke es Ihnen.“
(aus Alex Lépic „Lacroix und der blinde Buchhändler von Notre-Dame“, S.120)
Eugène Dabit, Hôtel du Nord
Aus dem Französischen von Julia Schoch
Schöffling
ISBN: 978-3-89561-166-7
Jetzt habe ich Lust bekommen, endlich mal einen Maigret zu lesen. Der Wein ist gekühlt. Es kann losgehen.
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Bei Maigret kann man nichts falsch machen. Und mit gekühltem Wein eh nicht… zum Wohle und viel Vergnügen beim Lesen! Sommerliche Grüße!
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Mein Exemplar von L’Hôtel du Nord ist eine alte Taschenbuchausgabe, die ich bei einem Bouquinisten am linken Ufer der Seine für ganze zwei Euro gekauft habe. https://operasandcycling.com/hotel-du-nord-the-place-the-book-and-the-film/
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Dankeschön für den Link und die ganz persönliche Geschichte zu diesem Buch, dem Hotel und dem Stadtteil. Das gibt dem Ganzen ein Bild und macht es noch eindrucksvoller. Danke dafür! Und ich sehe schon, das Buch wird auf meiner Wunschliste weiter nach oben wandern. Herzliche Grüße!
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