Jedes Jahr im Herbst, wenn die Leseabende dunkler und länger werden, packt mich die Lust nach einem richtig wuchtigen, historischen Roman – Herbstzeit ist Schmökerzeit. „Diebe des Lichts“ von Philipp Blom erfüllt genau diese Anforderung perfekt und ist wie gemacht für gemütliche Leseabende zu Hause, wenn es draußen beginnt kalt und düster zu werden.
In der Zeit um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert verschlägt es die beiden Brüder Sander und Hugo aus Flandern nach Italien. Aufgrund des Krieges sind sie früh zu Waisen geworden und als sie aus ihrer Heimat fliehen müssen, sucht Sander, der die Malerei und vor allem das Handwerk des Blumenmalens bei einem flämischen Meister seiner Kunst gelernt hat, sein Glück und Arbeit zunächst in Rom.
„Vorsichtig fegt Hugo das pulverisierte Knochenschwarz in eine Schale, wäscht seine Utensilien sorgfältig ab und schüttet kostbares Karmesinrot auf die Oberfläche, um die Farbe anzurühren. Es ist das Rot von Lungenblut. Es ist das Rot von Mohnblumen, die sich in der Sommersonne wiegen, der Geruch von Heu. Es ist das Rot der Kardinäle. Sein ganzes Leben ist von dieser Farbe durchzogen.“
(S.89)
Hugo – sein Bruder, der seit einem traumatischen Erlebnis stumm ist – ist stets an seiner Seite, arbeitet seinem begabten Bruder zu und mischt ihm die Farben, die er für seine Gemälde benötigt. Die Kirche ist in der Zeit um 1600 einer der wichtigsten Auftraggeber für Künstler und Maler.
„Meine Alchemie besteht darin, dass ich zerstoßene Steine und zerriebene Käfer und gekochte Wurzeln und verbrannte Knochen und Klumpen Erde nehme und daraus Blüten werden lasse und Blätter, fein gewundene Stiele, aber auch ganze Landschaften und Städte, Gesichter und Gestalten, das Leiden der Mutter Gottes und die Freuden der Liebesnacht. Sie alle verdanken ihr Leben dieser seltsamen Alchemie, die dem Auge weismacht, es würde etwas sehen, was gar nicht da ist, aus einem Material, das auch nicht da ist.“
(S.167)
Sander verdingt sich zunächst in einem Atelier eines etablierten, römischen Künstlers, doch schon bald kommt es zu Konflikten, denn es wird immer deutlicher, dass sein Vorgesetzter seinen künstlerischen Zenit längst überschritten hat und Sander ihm immer mehr den Rang abläuft. Als Sander sich auch noch in seine Tochter verliebt, eskaliert die Lage.
„Wir sind beide, wie soll ich sagen, angeschwemmte Schätze an dieser sonnigen Küste, Früchte von Gärten, in denen die Vögel anders singen und die Blumen anders duften. Ich bin schwärzer als die Menschen hier, und du bist heller, die Farbe eines Menschen, der aus Schnee und tiefen Wintern kommt, im Norden.“
(S.260)
Verschlungene Wege und folgenschwere Schicksalsschläge führen Sander und Hugo später nach Neapel und schließlich nach Palermo. Sie erleben Momente des Glücks, der Freundschaft, der Liebe, aber auch der tiefsten Trauer und des Verlusts.
„Das Glück wäre weniger kostbar, wenn es nicht immer von seiner Zerstörung bedroht wäre, und das Unglück wäre unerträglich, wenn der Wind des Schicksals sich nicht auch ohne guten Grund zum Besseren wenden könnte (…)“
(S.342)
Wenn ich Lust auf einen historischen Roman habe, dann mag ich genau diese üppig-überbordende, opulente Art zu Erzählen, die sinnliche Fabulierfreude und darauf versteht sich Philipp Blom hervorragend. Er spielt nicht nur mit allen Sinneswahrnehmungen wie Farben, Gerüchen oder Geräuschen, sondern auch mit der gesamten Gefühlspalette von Hass bis Liebe, von Rachegelüsten bis zur selbstlosen Nächstenliebe. In diesem Genre darf – wie ich finde – dann auch durchaus mal etwas dicker aufgetragen werden.
Bezeichnenderweise hat er seinem Roman auch das „Odi et amo“ (Ich hasse und liebe) von Catull vorangestellt, dass Carl Orff 1930 in seinen „Catulli Carmina“ vertont hat und das mir sofort im Ohr klang, als ich es gelesen habe.
Bloms Roman ist literarisch ähnlich kontrastreich angelegt wie das Chiaroscuro Caravaggios und anderer Zeitgenossen der Epoche, in welcher die Handlung angesiedelt ist. Hell und Dunkel, Licht und Schatten, leuchtende und düstere Momente, liebevolle Momente und grausame Gewalttaten – der Autor hat die Gefühlswelt Sanders und die Lebensumstände der damaligen Zeit stimmungs- und eindrucksvoll ausgeleuchtet.
Man erfährt bei der Lektüre viel über Kunst, Malerei, die Herstellung von Farben ebenso wie über politische und kirchliche Machtspiele. Man taucht ab in die Geschichte um 1600, wird Zeuge des Prozesses gegen Giordano Bruno und begleitet den begnadeten Blumenmaler Sander nach Rom, Neapel und Palermo. Die Hauptfigur entwickelt nach und nach auch ein immer stärker werdendes Interesse an der Pflanzenwelt.
„Mehr als gemalte Schönheit interessiert mich die Schönheit, die ich male. Mehr als imitierte Pflanzen interessieren mich diese rätselhaften, faszinierenden Gewächse selbst, die endlos großzügige Vollkommenheit der Natur.“
(S.351)
Philipp Blom hat Geschichte, Philosophie und Judaistik in Wien und Oxford studiert und ist bisher vor allem als Autor historischer Sachbücher bekannt. „Diebe des Lichts“ ist sein erster historischer Roman und aus meiner Sicht hat sich dieser Abstecher auf neues Terrain definitiv gelohnt, denn hier kann er erzählerisch einmal richtig aus dem Vollen schöpfen.
Wer sich für Geschichte und Kunst interessiert, für die dunklen Herbsttage noch nach einem richtigen Schmöker sucht, um sich auf eine Zeitreise in die Vergangenheit zu begeben und auch ein paar brutale und düstere Momente aushalten kann, der sollte Sander auf seiner wechselvollen Reise durch das Italien des frühen 17. Jahrhunderts begleiten. Es lohnt sich.

Mit diesem Buch habe ich einen weiteren Punkt meiner „22 für 2022“ erfüllt – Punkt Nummer 13) auf der Liste: Ich möchte ein Buch, in dem Malerei eine Rolle spielt lesen. Ein Maler als Hauptfigur des Romans und angesiedelt zu Caravaggios Zeiten in Rom, Neapel und Palermo – besser kann man diesen Punkt kaum erfüllen.
Buchinformation:
Philipp Blom, Diebe des Lichts
Blessing
ISBN: 978-3-89667-689-4
***
Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Philipp Bloms „Diebe des Lichts“:
Für den Gaumen (I):
Die kulinarischen Genüsse spielen immer wieder eine sehr sinnliche Rolle im Buch – Gerüche liegen in der Luft, die Aromen schmeicheln dem literarischen Gaumen, man streicht mit Hugo und Sander durch die italienischen Gassen und Märkte. Kleine Kostprobe gefällig?
„Die Stände entlang der Häuserfronten bersten vor Farben, Formen und Gerüchen, quellen über mit dem Reichtum der sonnenbeschienen Hügel, der Berge und der See: Schwarzblaue Feigen, weich und im Inneren rot wie die Sünde, stachlige Artischocken mit ihrem Panzer aus grünlich violetten Blättern, gefährlich glänzende Auberginen, große, mit blassen Rosen verzierte Haufen Bohnen, hell grün; Haselnüsse und Walnüsse, Kürbisse voller Warzen, Körbe, die mit Früchten überquellen, deren Farben eine ganze Palette füllen würden: Pfirsiche mit weicher, haariger Haut, dramatisch rot und grün getigerte Äpfel, tiefschwarz glühende Trauben in hölzernen Bottichen und Berge von Kohlköpfen und Zwiebeln.“
(S.29)
Für den Gaumen (II):
In einfachen Tavernen geht es urig zu und es wird italienische Hausmannskost serviert: „Pasta und Bohnen, gekochtes und gegrilltes Gemüse, Sardinen und Tintenfische und ranzig riechendes Hammelfleisch“ (S.238)
Zum Weiterschauen:
Der berühmte Maler Caravaggio (1571 – 1610) ist quasi ein Zeitgenosse der Titelfigur aus „Diebe des Lichts“ – sein Name steht für eine ganz besondere, unverwechselbare Art der Malerei. In den Uffizien in Florenz sind einige seiner wichtigsten Werke zu sehen – aber auch auf der Homepage des Museums kann man bequem von zu Hause aus einige Gemälde Caravaggios betrachten.
Zum Weiterhören:
Inspiriert vom vorangestellten „Odi et amo“ des römischen Schriftstellers Catull, lohnt es sich einmal wieder in Carl Orffs „Catulli Carmina“ hineinzuhören. Diese einprägsamen A-cappella-Chöre begleiten mich – ähnlich wie die „Carmina Burana“ schon seit meiner Schulzeit.
Zum Weiterlesen:
Und vielleicht sollte ich auch tatsächlich mal wieder Catulls (etwa 84-54 v. Chr.) Gedichte zur Hand nehmen:
Catull, Sämtliche Gedichte
Lateinisch/Deutsch
Übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht
Reclam
ISBN: 978-3-15-009395-5
Danke fuer die Rezension! Ich hatte mir schon ueberlegt, das Buch zu besorgen, nun werde ich das tun. Zumal ich Maler bin 🙂
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Ich kann zwar schwer einschätzen, wie ein Maler selbst den Roman beurteilt, was die ggf. fachlichen, technischen oder künstlerischen Aspekte anbelangt, mich hat er jedoch aufgrund seiner Qualitäten als opulenter „historischer Schmöker“ sehr gut unterhalten. Ein Buch, um ein paar Stunden in eine völlig andere Welt abzutauchen. Herzliche Grüße und viel Freude bei der Lektüre!
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Da denke ich gleich an den italienisch/französischen Historienfilm „L’ombra di Caravaggio“ unter der Regie von Michele Placido, der hier gerade in den Kinos läuft und sicher auch bald in Deutschland herauskommt. Für alle, die sich für diese Epoche und das (mir persönlich zu düstere) Milieu interessieren, ist auch dieser Film sicher eine interessante Empfehlung.
Liebe Grüße aus Italien und einen schönen Sonntag, liebe Barbara! Anke
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Danke, liebe Anke, für diesen Tip. Da werde ich dann mal die Augen offenhalten, ob das auch in unsere Kinos kommt. Ja, viele Gemälde Caravaggios und auch diese Zeit ist wirklich düster. Aber da kommt beim Lesen dann auch eine Dankbarkeit auf, dass man im Hier und Jetzt leben darf. Ich wünsche Dir auch einen wunderbaren Sonntag und sende heute (nach einem Samstag im Dauernebel) ganz sonnige Grüße aus Niederbayern nach bella Italia! Barbara
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Grazie. 😊
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Ich wusste gar nicht, das Philipp Blom auch Romane schreibt, muss ich mir mal merken.
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Ja, „Diebe des Lichts“ war sein Debüt im Bereich „historischer Roman“, da konnte er geschichtlich und erzählerisch so richtig aus dem Vollen schöpfen. Ist vermutlich immer ein Wagnis als AutorIn die bewährten Wege zu verlassen, aber ich finde, es hat sich gelohnt.
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Interessant, danke für den Tipp!
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Gern geschehen und herzliche Wochenendgrüße – das Wetter lädt ja definitiv zum Lesen ein!
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