Eine strahlende Theatersternstunde durfte ich vor kurzem im Landshuter Theater Nikola erleben – das in einer der beiden Herbstproduktionen das grandiose Stück „Sonate für Witwe und Klavier“ von Josefina Vásquez Arco auf die Bühne zaubert.
Man nehme eine Schauspielerin, einen Schauspieler und Pianisten sowie einen Konzertflügel. Dazu ein bissiger, zynischer Text gespickt mit viel schwarzem Humor, gewürzt mit eingängiger Musik und fertig ist ein grandioser Theaterabend, den man so schnell nicht vergessen wird.
Denn das Theaterstück der gebürtigen Spanierin Josefina Vásquez Arno ist wirklich großartig komponiert: die Witwe eines Konzertpianisten will nach einigen Jahren endlich den Flügel ihres verstorbenen Mannes verkaufen, der vor sich hinstaubt, viel Raum einnimmt und mit dem sie nicht nur schöne Erinnerungen verbindet.
Als ein potenzieller Kaufinteressent erscheint, um den Flügel zu begutachten und Probe zu spielen, schüttet sie diesem ihr Herz aus und berichtet über Höhen aber vor allem auch über Tiefen ihrer „dreißigjährigen Bilderbuchehe“.
Und der Gute bekommt so einiges zu hören – selbst zu Wort kommt er kaum. Er ist gleichsam zum Zuhören verdammt und bekommt die geballte Ladung weiblicher Gefühlseruptionen ab, je mehr sich die Dame in Rage redet. Nur dem Flügel darf er ab und an das eine oder andere Musikstück, das Erinnerungen weckt und den Soundtrack des Witwenlebens unterstreicht, entlocken.
Regisseur Reinhart Hoffmann hat die beiden Darsteller ideal in Szene gesetzt:
Gabi Butz spielt die Witwe mit einer ungeheuren Ausdruckskraft und enormer Intensität, zumal sie dem kompletten Gefühlsspektrum von Verliebtheit, über melancholische Trauer bis hin zu rasender Eifersucht, Wut und Zorn stimmlich und in Gestik und Mimik perfekt Ausdruck verleihen kann. 70 Minuten höchste Konzentration, volle Bühnenpräsenz und eine charismatische Ausstrahlung, die fasziniert und bewundernswert ist.
Stefan Stoiber als schüchtern-unbeholfener, mit der Situation zunehmend überforderter Kaufinteressent, der sich den Fängen seiner Gastgeberin immer weniger entziehen kann, sorgt als herausragender Pianist und Sänger für die musikalischen Höhepunkte, welche die Stimmungsschwankungen und die Gefühlsausbrüche der Witwe jeweils klanglich untermalen und so perfekte Akzente setzen.
Das Zusammenspiel der Akteure und die fein aufeinander abgestimmte Regie zwischen Text, szenischer Darstellung – die ohne all zu viele Requisiten auskommt – und Musik macht den Abend zu einem äußerst gelungenen und runden Theatererlebnis. Das Publikum war vollkommen zu Recht absolut begeistert und belohnte die großartige Leistung mit lange anhaltendem und hochverdientem Applaus.
Das Theater Nikola ist ein Landshuter Theaterverein, der seit ca. 48 Jahren besteht und der mit einem engagierten und hochmotivierten Team von Theaterbegeisterten in der Regel mindestens zwei Produktionen pro Jahr auf die Beine stellt. Ich weigere mich standhaft, das Wort Laien- oder Amateurtheater zu verwenden, denn vielmehr ist es stets hochprofessionell und qualitativ hochwertig, was die Theatermacher hier in ihrer Freizeit mit großer Leidenschaft und viel Herzblut zur Aufführung bringen. Schön auch zu sehen, dass der Verein der Pandemie getrotzt hat und z.B. aktuell mit zwei kleineren Formaten und einer jeweils geringeren Anzahl an Mitwirkenden eine gute Lösung für den dritten Pandemiewinter gefunden hat.
„Sonate für Witwe und Klavier“ ist ein Stück, das ich aus vollster Überzeugung und ganzem Herzen jedem empfehlen kann, der die Möglichkeit hat, es zu besuchen – insbesondere, wenn die Inszienierung derart stimmig und gelungen ist, wie die des Landshuter Theater Nikola.
Ein fulminanter Theaterabend mit einem Humor, der so schwarz ist, wie die Novembernacht, in die man nach der schönen Aufführung glücklich und beseelt hinaustritt und so prickelnd und perlend, wie der Champagner, den die Witwe sich und ihrem Gast auf der Bühne kredenzt.
Theater, so wie es sein soll, so wie man es sich wünscht und das intensiv und tief im Inneren spüren lässt, was die Faszination Livetheater ausmacht und dass diese – trotz Pandemie – nichts von ihrer Macht und ihrem Zauber verloren hat. Das Theater Nikola hat mit dieser Produktion nicht nur erneut wahre Trüffelschweinqualitäten bei der Stückauswahl, sondern auch wie stets höchste Professionalität in der szenischen und schauspielerischen Umsetzung bewiesen – Herzbluttheater vom Feinsten. Bravi!
Gesehen am 04. November 2022 im Theater Nikola Landshut
„Sonate für Witwe und Klavier“ ist im November 2022 noch an einigen Terminen in Landshut zu sehen. Genaue Daten und weitere Details findet man jederzeit auf der Homepage des Theater Nikola e.V..
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Wozu inspirierte mich bzw. woran erinnerte mich „Sonate für Witwe und Klavier“:
Für den Gaumen:
Ein paar Gläschen Champagner lösen die spitze, spöttische Zunge der Witwe und beweisen nach und nach, dass das Motto „in vino veritas“ wohl auch für Schaumweine zu gelten scheint.
Zum Weiterhören:
Der Konzertflügel und die Musik spielen gleichsam die dritte Hauptrolle im Stück: Und die musikalische Spannbreite reicht in der Stückauswahl weit von Giacomo Puccinis „La Bohème“, über Alfredo Casellas „Siciliana“ bis zu Filmmusik aus „Casablanca“ oder aus dem Musical „Cabaret“.
Für einen Theaterbesuch:
Ich kann nur jeden ermutigen, sich im eigenen Umfeld und der näheren Umgebung einmal umzusehen, was die Amateurtheaterszene zu bieten hat.
Der Bund deutscher Amateurtheater hat ca. 2500 Mitgliedsbühnen – eine kulturelle Vielfalt und ein gesellschaftlicher Reichtum, den man wahrnehmen, schätzen und mit Interesse und Besuchen unterstützen sollte.
Denn die Theatermacher, die viel Zeit und Herzblut in ihre Projekte investieren, freuen sich – gerade nach der langen pandemischen Durststrecke – über gut besuchte Vorstellungen und den wohlverdienten Applaus.
Zum Weiterlesen:
Wer sich gerne literarisch in die Welt der Theater und Laientheater begeben möchte und zugleich noch Lust auf Kriminalromane hat, dem kann ich gleich zwei Theaterkrimis empfehlen, die ich in der letzten Zeit gelesen habe:
Alan Melvilles „Das Publikum war Zeuge“ spielt in einem professionellen Londoner Westendtheater in den Dreißiger Jahren: auf offener Bühne wird während der Vorstellung ein Darsteller durch einen Schuss getötet. Im Publikum sitzen zufällig auch ein Polizist von Scotland Yard und sein Sohn – ein Journalist – die sofort die Ermittlungen aufnehmen.
Alan Melville, Das Publikum war Zeuge
Aus dem Englischen übersetzt von Sybille Uplegger
Ullstein Taschenbuch
ISBN: 978-3-548-06720-9
Bei einer Schweizer Laientheateraufführung wird nach der Derniere eines Stücks der Hauptdarsteller tot in der Garderobe aufgefunden. Selbstmord oder doch Mord? Im Krimi „Derniere“ lässt Peter Weingartner seinen Hauptkommissar Anselm Anderhub aus Luzern zum ersten Mal – und im Umfeld der Theatergruppe – ermitteln.
Peter Weingartner, Derniere
Atlantis Verlag (Kampa)
ISBN: 978-3-7152-5020-5
Trüffelschweinqualitäten … wie wunderbar! Danke. Was für eine Lichtblickbesprechung. Viele Grüße!
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Dankeschön! Ja, es ist schön, dass es doch auch in diesen dunklen Zeiten noch Lichtblicke gibt. 🙂 Dieser Theaterbesuch war ein solcher, denn es war wirklich eine Freude, das Stück zu sehen – die Theatermacher haben hier wirklich eine tolle Stückauswahl getroffen. Herzliche Grüße!
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Dankeschön, klingt gut!
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Gern geschehen. Ich war so begeistert, dass ich den Moment gerne festhalten und meine Freude teilen wollte.
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