Heute ist Muttertag und vielleicht der richtige Moment, endlich zwei ganz besondere Bücher hier näher vorzustellen. Denn wenn mir eine Buchhändlerin meines Vertrauens Bücher ganz besonders ans Herz legt oder explizit empfiehlt, dann lohnt es sich immer genau zuzuhören und zu vertrauen. So geschehen bei Wolf Haas’ „Eigentum“ und auch als daran anschließender Tipp bei Michel Bergmanns „Mameleben“. Zwei Autoren, zwei Bücher, zwei Werke über ihre Mütter, die sie jeweils nach deren Tod verfasst und zwei Leseerfahrungen, die mich berührt haben.
Der Österreicher Wolf Haas (Jahrgang 1960) ist vielen vor allem als Autor der berühmten Brenner-Krimis bekannt. Mit „Eigentum“ hat er nun jedoch ein sehr persönliches Buch über seine Mutter und den Abschied von ihr verfasst.
„Wie auf einem Grab steht dein Name auf dem Buch. Darum ging es beim Schreiben. Dass man es zusammengeschrieben hat. Das ganze Leben nur schreiben schreiben schreiben. Nichts wie tippen tippen tippen die ganze Zeit. Aber dann steht dein Name drauf. Dann kann dich keiner mehr verjagen.“
(aus Wolf Haas „Eigentum“, S.50)
Es ist ein sehr ehrliches und aufrichtiges Buch geworden, das nichts beschönigen möchte. Er hat es nicht immer leicht gehabt mit der Mutter, die ihr Leben lang dem Traum nach einem Eigenheim nachlief und diesen doch nie verwirklichen konnte.
„Jetzt hieß es sparen sparen sparen, bis sie die Anzahlung beisammenhatte. Für eine Eigentumswohnung. Damals betrug die Anzahlung zehntausend Schilling. Doch als sie die zehntausend Schilling beisammenhatte, war die Anzahlung zwanzigtausend Schilling. Und als sie zwanzigtausend beisammenhatte, war die Anzahlung vierzigtausend. Die Immobilie lief ihr davon.“
(aus Wolf Haas „Eigentum“, S.94)
Haas skizziert ihre Lebensgeschichte, beschreibt ihre Eigenheiten – zum Beispiel Verben um der Betonung willen oft dreimal zu wiederholen – wechselt gekonnt zwischen einer Prise Zynismus und großer Zuneigung.
„Jung ist man, solange man seine Verwandtschaft alle paar Jahre bei einer Hochzeit trifft, alt ist man, wenn man sich nur noch bei Begräbnissen sieht. Dazwischen ist die Phase, wo alle mit allen zerstritten oder zumindest in Daseinskämpfen aufgerieben sind, weshalb man sich gar nicht begegnet. Kein Problem, man sieht sich ja ohnehin spätestens beim Begräbnis.“
(aus Wolf Haas „Eigentum“, S.134)
Es ist ein Buch des Verarbeitens, des Abschiedsnehmens und ein persönliches Zeugnis, das von Respekt und Liebe getragen wird und dennoch auch nicht die eine oder andere Kritik scheut. Ein mutiges und bewundernswertes Buch, das tief in die Gefühlswelt des Autors und in sein Privatleben blicken lässt und das mich bei der Lektüre berührt hat.
Und auch Michel Bergmann (Jahrgang 1945) hat mit „Mameleben“ seiner Mutter ein literarisches Denkmal gesetzt. Doch auch er glorifiziert nichts und zeichnet diese eigenwillige Frau mit all ihren Stärken und Schwächen.
„Wie sie da sitzt – eine Königin! So stolz, so schön. Und wohl wissend, wie schön sie ist. Mit ihrer makellosen, weichen, haselnussfarbenen Haut. In ihrem schwarzen, samtenen Kleid mit dem orangefarbenen Schal, der über ihrem sonnengebräunten Dekolleté zu schweben scheint. Mit ihren großen, tiefbraunen, vorwitzigen Augen, ihren dunkelroten, sinnlichen Lippen, die sie kokett spitzt. Mit wachem Gesicht, glänzend-schwarzem Haar und dem narkotisierenden Duft von Chanel N° 5. Ein verlockender, exotischer Vogel. Das ist meine Mutter.“
(aus Michel Bergmann „Mameleben“, S.107)
Er beschreibt die jüdische KZ-Überlebende, die stets höchste Ansprüche an ihren Sohn stellte und ihn oft spüren ließ, dass er die Lücken nicht füllen konnte, die der Holocaust in ihrer Familie gerissen hatte.
„Aber ich bin nicht in ihrem Sinne geraten. Ich erfülle nicht ihre übermenschlichen Erwartungen. Ich kann ihre wunderbaren Eltern, genialen Geschwister, großartigen Cousinen und Cousins nicht ersetzen. Sie wurden vom Höllenfeuer verschlungen, und ich kann deren Leben nicht fortführen. Obwohl das offenbar meine Bestimmung ist!“
(aus Michel Bergmann „Mameleben“, S.110/111)
Auch Bergmann konnte dieses Buch erst nach dem Tod der Mutter schreiben – ließ jedoch deutlich mehr Zeit dazwischen vergehen als Wolf Haas.
Doch auch er beschreibt auf sehr persönliche Weise sein Hadern, aber auch seine tiefe Liebe zur Mutter, die auch durch ihre Lebensgeschichte und das erlittene Leid zu der Frau wurde, die sie war.
„Was andere machen, sagen und tun, ist immer besser als das, was ich tue. Jedenfalls mir gegenüber. Bin ich allerdings nicht da, wachse ich zu einem Giganten. In der Auseinandersetzung der jüdischen Mütter, im Wettstreit der Genies, in der Auszeichnung ‚Sohn des Monats‘ belege ich gewiss einen der vorderen Plätze.“
(aus Michel Bergmann „Mameleben“, S.191)
Zwei Frauenleben, zwei Söhne, die zu erfolgreichen Autoren wurden und in ihren Büchern ihre ganz besonderen Erfahrungen und ihre Beziehung zur Mutter in Worte fassen, um den Abschied und die entstandene Fehlstelle im Leben literarisch zu ergründen und zu verarbeiten.
Bei beiden Lektüren wird klar, welch großen Einfluss und welch enorme Bedeutung die Frauen für ihre Entwicklung und ihre Lebensgeschichten hatten und welche Kraft dieses Verhältnis zwischen Mutter und Sohn – auch trotz etwaigen Unstimmigkeiten – stets besaß.
Und auch Novalis fasste seine Dankbarkeit und Liebe zur Mutter in folgende Worte:
Die mich einst mit Schmerz gebar
Die mich einst mit Schmerz gebar,
Doch mit Mutterfreuden –
Da ich noch ein Knäblein war,
Vieles musste leiden,
Stets mich doch mit Sorg gepflegt
Und mit Angst und Mühe,
Und mich oft noch huldreich trägt:
Siehe, wie ich blühe.
Und ein Liedchen singe ich
Dir voll Dank und Freude.
Nimm es an und freue dich,
Höre, was ich heute
Wünsche dir voll Dankbarkeit:
Lebe uns zufrieden
Lange noch; was dich erfreut,
Müsse dich hienieden
Stets beglücken; ohne Rast
Blühen deine Wangen
Von Gesundheit, Sorgenlast
Möge dich nicht fangen.
Und mit froher Munterkeit
Werd des Alters Beute,
Schau der Kinder Seligkeit,
Sieh, dies wünsch ich heute.(Novalis 1772 – 1801)
In diesem Sinne wünsche ich allen Müttern, die feiern, heute einen wunderbaren Muttertag!
Weitere Besprechungen zu „Eigentum“ gibt es bei Literaturreich und Kommunikatives Lesen.
Eine weitere Besprechung zu „Mameleben“ gibt es bei Bücheratlas.

Buchinformationen:
Wolf Haas, Eigentum
Hanser
ISBN: 978-3-446-27833-2
Michel Bergmann, Mameleben oder das gestohlene Glück
Diogenes
ISBN: 978-3-257-07225-9
***
Wozu inspirierten bzw. woran erinnerten mich die beiden Mutter-Bücher:
Für den Gaumen:
Michel Bergmanns Mutter ist von ihren eigenen Kochkünsten absolut überzeugt:
„Keine kann Mazzeknödel so machen wie ich.“
(S.160)
Zum Weiterhören:
Auf Autofahrten hört Michel Ray Charles’ „I can’t stop loving you“ (S.120) über Radio AFN und träumt von Amerika.
Zum Weiterlesen (I):
Seit 1996 hat Wolf Haas neun Krimis mit dem Privatdetektiv Simon Brenner geschrieben, die mittlerweile Kultstatus haben und teilweise auch verfilmt wurden. Der erste Band der Reihe ist „Auferstehung der Toten“.
Wolf Haas, Auferstehung der Toten
Rowohlt
ISBN: 978-3-499-22831-5
Zum Weiterlesen (II):
Und auch Michel Bergmann ist nicht nur als Drehbuch- sondern auch als Krimiautor bekannt und hat bisher drei Bände veröffentlicht, in welchen Rabbi Henry Silberbaum als Ermittler auftritt. Den Auftakt der Reihe bildet „Der Rabbi und der Kommissar – Du sollst nicht morden“.
Michel Bergmann, Der Rabbi und der Kommissar – Du sollst nicht morden
Heyne
ISBN: 978-3-453-44129-3
Zum Weiterlesen (III):
Und weil aller guten Dinge drei sind: Eines der schönsten Bücher über Mütter bzw. eine Mutter habe ich bereits hier auf der Bowle vorgestellt: Oskar Maria Grafs „Das Leben meiner Mutter“.
Oskar Maria Graf, Das Leben meiner Mutter
List Taschenbuch
ISBN: 978-3-548-60912-6
Den Muttertag mit dieser Themenwahl zu begehen, ist eine feine Idee, liebe Barbara. Ergänzend fällt mir dazu Peter Handke ein: „Wunschloses Unglück“.
Schönen Sonntag wünscht Bernd
LikeGefällt 1 Person
Dankeschön, Bernd.
Die Bücher lagen schon eine ganze Weile gelesen hier bereit und jetzt passte das endlich.
Ich hoffe, Du kannst diesen im wahrsten Sinne sonnigen Sonntag auch genießen.
Herzliche Grüße nach Nürnberg! Barbara
LikeGefällt 1 Person
„Mamaleben“ schaue mir auch an. Mich hat „Eigentum“ auch sehr berührt. Ein schönes, positives Buch trotz allem. Einen schönen Sonntag, liebe Barbara!!
LikeGefällt 1 Person
Dankeschön, Alexander. Ich habe beide Bücher wirklich gerne gelesen.
Und irgendwie passten sie thematisch so schön zusammen bzw. haben sich gut ergänzt.
Dir auch noch einen schönen restlichen Sonntag (mit Sonnenschein und guten Büchern)! Herzliche Grüße, Barbara
LikeLike
Hallo Barbara,
um das Buch von Wolfgang Haas schleiche ich nun auch schon eine Weile herum. Mal schauen 🙂 Ergänzen könnte man auch noch „Dieses Buch gehört meiner Mutter“ von Erich Hackl. Das habe ich auch sehr sehr gern gelesen. Bei Interesse: https://buchpost.wordpress.com/2013/12/09/erich-hackl-dieses-buch-gehort-meiner-mutter-2013/
Noch wunderschöne sonnige Maitage! Anna
LikeGefällt 1 Person
Liebe Anna,
Ich habe es nicht bereut, der Empfehlung meiner Buchhändlerin gefolgt zu sein.
Der Hackl ist mir bisher noch nicht begegnet, aber Deine Besprechung dazu klingt sehr vielversprechend. Danke für die weiterführende Empfehlung und einen wunderbaren Sonntagabend! Barbara
LikeLike