Schreibende Frauen in der Weimarer Republik

Schon seit einigen Jahren beschäftige ich mich immer häufiger und sehr gerne mit der Literatur der Weimarer Republik und insbesondere auch mit Werken von Schriftstellerinnen. Die Texte dieser „Neuen Frauen“ üben auch heute noch eine zeitlose Faszination aus und Regine Ahrem hat in ihrem Buch „Leuchtende Jahre – Aufbruch der Frauen 1926 – 1933“ ein buntes Kaleidoskop und lebendiges Gemälde dieser Zeit erschaffen, in dem sie sieben Autorinnen durch diese entscheidenden Jahre begleitet.

In kurzen Szenen begleitet sie chronologisch und im kurzweiligen Wechsel diese sieben Frauen durch die bewegte Zeit Ende der Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre – so entsteht ein kurzweiliges Panorama, das vom wilden Berlin der Literaten- und Künstlerszene, über die Münchner Mann-Villa und viele andere Orte, teils bis ins amerikanische Exil führt.

„Und Erika Mann mag Gabriele, aber natürlich auch Irmgard, Mascha, Ruth und Marieluise im Sinn gehabt haben, als sie in den Wiener Neuesten Nachrichten schreibt: „Seit Kurzem gibt es einen neuen Typ Schriftstellerin, der mir für den Augenblick der aussichtsreichste erscheint. Die Frau, die Reportage macht, in Aufsätzen, Theaterstücken, Romanen. Sie bekennt nicht, sie schreibt sich nicht die Seele aus dem Leib … die Frau berichtet, anstatt zu beichten.“ Natürlich gilt dies auch für Erika selbst.“

(S.248)

Ahrem gelingt es durch ausdrucksstarke Momentaufnahmen aus dem Leben der Autorinnen, feine, charakterstarke Portraits zu zeichnen.
Doch wer sind nun diese sieben starken Frauen, die sich in diesen Jahren schreibend ein großes Lese- und Theaterpublikum eroberten?

Nicht fehlen darf da selbstverständlich Erika Mann, die älteste Tochter des Literaturnobelpreisträgers, die oft gemeinsam mit ihrem Bruder Klaus die Theaterbühnen eroberte und auch Reisereportagen, wie zum Beispiel „Das Buch von der Riviera“ verfasste. Sie ist vermutlich die bekannteste Protagonistin der sieben.

Dann ist da Gabriele Tergit, die sich als Berliner Gerichtsreporterin einen Namen macht, bevor sie später begann, Romane zu schreiben.

„Und zusammen mit Sling ist Gabriele dabei, die herkömmliche Gerichtsreportage zu revolutionieren und als eigenes literarisches Genre zu etablieren. Statt trocken und in juristischem Jargon zu referieren – wie bislang üblich -, schreibt sie in Alltagssprache, mit viel Witz und Ironie und manchmal auch auf Berlinerisch.“

(S.71)

Als Jüdin verließ sie Deutschland 1933 zunächst Richtung Palästina, später ab 1938 nach London.

Die nächste im Bunde ist Vicki Baum, die mit ihren Romanen, wie zum Beispiel „Menschen im Hotel“ große Erfolge feierte und 1938 amerikanische Staatsbürgerin wurde.

„Sie ist fleißig und tippt diszipliniert in ihre altertümliche AEG-Zeigerschreibmaschine – bis tief in die Nacht oder die Wochenenden über. Aber wenn sie einmal nicht in ihrer mönchischen Schreibzelle in der Königsallee sitzt, stürzt sie sich hemmungslos in das Nachtleben der Vier-Millionen-Metropole Berlin. Egal, ob dies nun im Sportpalast, in den Revuen, in den Bars oder den Theatern stattfindet. Sie feiert die Lebendigkeit dieser Stadt, ‚ihre seltsame Elektrizität‘.“

(S.70)

Auch Mascha Kaléko, die in Galizien geboren ist, feiert ihre ersten literarischen Erfolge in Berlin. Ihre Gedichte sind bis heute unsterblich.

„So entstehen in den langen Nächten der Schlaflosigkeit ihre Gedichte, eines nach dem anderen. Präzise Beobachtungen des Zwischenmenschlichen und Stillleben einer immer bewegten Stadt. Sie treffen einfach den Ton der Zeit. Sascha weiß nicht, woher die Gedichte kommen, irgendwann war der übermächtige Drang zu schreiben einfach da.“

(S.81)

Die Dramatikerin Marieluise Fleißer hingegen wird stets mit ihrer Geburtsstadt Ingolstadt, in welcher sie auch verstarb, in Verbindung gebracht werden. Doch ihre „Pioniere in Ingolstadt“ werden in Berlin uraufgeführt und führen nicht nur zu einem Skandal, sondern auch zu einem Bruch mit Bertolt Brecht.

„Die Ereignisse um die Premiere, die Trennung von Brecht und seinem Kreis haben ihr Leben auf den Kopf gestellt. In Ingolstadt kann sie sich nicht mehr blicken lassen. Sie ist dort eine Geächtete. Und in Berlin, wo sie erst einmal bleibt, ist sie nun nahezu allein.“

(S.148)

Und da ist natürlich Irmgard Keun, die sich mit ihren Romanen „Gilgi – eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“ in die Herzen ihrer Leserinnen und Leser schreibt, bevor ihre Werke 1933 dann von den Nationalsozialisten verboten wurden. Auch sie flieht letztlich 1936 ins Exil – zunächst nach Ostende.

„Auf die Humoristin und Parodistin wird sie von nun an gerne festgelegt. Dabei hat ihr Werk noch so viel mehr zu bieten: eine radikale Parteinahme für die Entrechteten, auch ihres eigenen Geschlechts, und ein prophetisches Gespür für die heraufziehende politische Dunkelheit.“

(S.267)

Und last but not least ist da noch Ruth Landshoff, die gleich ihren ersten Roman „Die Vielen und der Eine“ im renommierten Rohwohlt-Verlag platzieren kann.
Auch sie emigrierte 1937 in die USA und verstarb 1966 in New York.

„Ruth jedenfalls gefällt ihre neue Aufgabe als Journalistin. Sie gewährt ihr mehr Befriedigung und Bestätigung, als es die Schauspielerei je getan hat. Und dann ist da noch etwas: Bis dahin ist sie ja vor allem Begleiterin, Freundin, Muse gewesen. Ein Trabant wechselnder Berühmtheiten. Nun ist sie selbst ein Stern, der aus sich selbst heraus strahlt.“

(S.108)

Regine Ahrem, die Theater- und Literaturwissenschaften in München und Berlin studiert hat, hat lange als Hörspielredakteurin beim Rundfunk Berlin Brandenburg gearbeitet. In „Leuchtende Jahre“ hat sie es verstanden, durch schnelle, temporeiche Schnitte und Szenenwechsel ein extrem kurzweiliges und zugleich informatives Buch zu kreieren, das ich sehr gerne gelesen habe und das die ernergiegeladene, lebhafte Aufbruchstimmung bzw. den Aufstieg der Frauen ebenso gut beschreibt, wie die von Kaléko selbst so treffend formulierte „große Verdunkelung“ danach.

„Eine kurze Spanne Zeit war diesen Frauen gegeben, bevor sie jäh in der inneren oder äußeren Emigration verstummten.“

(S.7)

Leider erlosch das Leuchten dieser Jahre und der Werke dieser Frauen mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Um so wichtiger, dass wir die Strahlkraft und die Aussagen ihrer Werke heute wieder entdecken und schätzen lernen können.

Wer Unda Hörners Bücher über die Frauen in den Jahren 1919, 1929 und 1939 mochte, wird sicher auch an Regine Ahrems „Leuchtende Jahre“ Gefallen finden. Ein Buch, das Neugier weckt und große Lust darauf macht, sich das literarische Schaffen dieser beeindruckenden Frauen näher anzusehen und bei mir persönlich die Lesewunschliste erneut um einige Titel verlängert hat.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag ebersbach & simon, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Regine Ahrem, Leuchtende Jahre –
Aufbruch der Frauen 1926 – 1933
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-310-0

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Regine Ahrems „Leuchtende Jahre“:

Für den Gaumen:
Das Romanische Café im Berlin der späten Zwanziger Jahre war DER Treffpunkt der Literaten- und Künstlerszene und auch für Mascha Kaléko daher ein ganz besonderer Ort:

„Sorgfältig spart sie sich das Geld für einen Kaffee und ein Stück Kuchen von ihrem Wochensalär ab.“

(S.30)

Zum Weiterhören:
Eine besondere, musikalische Entdeckung der Mann-Geschwister Erika und Klaus wird auch geschildert:

„Auch die Silvesternacht 1927 wird ein denkwürdiges Ereignis. Bei einer Feier in der Wohnung eines Freundes hören die Geschwister zum ersten Mal auf dem Grammofon die Rhapsody in Blue von George Gershwin. Die für sie ‚großstädtischste Musik unserer Zeit‘ wird von nun an der Soundtrack ihrer Reise.“

(S.112)

Zum Weiterschauen:
Vom Umschlag des Buches blickt einem Christian Schads (1894 – 1982) „Maika“ entgegen. Gemalt im Jahr 1929 verkörpert es stilistisch par excellence die Neue Sachlichkeit bzw. das Bild der Frau während der Weimarer Republik.

Zum Weiterlesen (I):
Gerade zu Erika Mann habe ich im Vorfeld schon einiges gelesen, zum Beispiel vor einiger Zeit Unda Hörners „Solange es eine Heimat gibt – Erika Mann“, das ich auch hier auf dem Blog vorgestellt habe und das vor allem die besondere Beziehung zu ihrem Bruder Klaus näher beleuchtet.

Unda Hörner, Solange es eine Heimat gibt – Erika Mann
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-293-6

Zum Weiterlesen (II):
Mascha Kaléko zählt schon lange zu meinen Lieblingslyrikerinnen und ihre Gedichte berühren mich sehr. Mit der schönen Leinenausgabe „Ich tat die Augen auf und sah das Helle“, die im letzten Jahr bei dtv erschienen ist und eine Auswahl ihrer Gedichte und Prosa, sowie ein Vorwort von Daniel Kehlmann enthält, liebäugle ich schon eine ganze Weile. Jetzt ist das frühlingsgrüne Buchschmuckstück endlich bei mir eingezogen:

Mascha Kaléko, Ich tat die Augen auf und sah das Helle – Gedichte und Prosa
Ausgewählt und mit einem Vorwort von Daniel Kehlmann
dtv
ISBN: 978-3-423-28420-2

Zum Weiterlesen (III):
Seit Ewigkeiten auf meiner „Möchte ich unbedingt lesen“-Liste steht Vicki Baums Erfolgsroman „Menschen im Hotel“, den ich wohl endlich Mal höher priorisieren sollte:

„Der kaleidoskopische Bau des Romans ist ein Novum, Menschen im Hotel ist eines der ersten Bücher überhaupt, in dem nicht ein Held/eine Heldin, sondern die Begegnungen einer Reihe von Menschen im Zentrum der Handlung stehen. Auch vom Genre her ist er nicht eindeutig einzuordnen, er ist ein Mix aus Krimi, Enthüllungsroman und Melodrama. Der Roman hat also bemerkenswerte innovative Aspekte, die ihn als glänzendes Beispiel der Neuen Sachlichkeit ausweisen.“

(S.160)

Vicki Baum, Menschen im Hotel
Kiwi-Taschenbuch
ISBN: 978-3-462-03798-2

7 Kommentare zu „Schreibende Frauen in der Weimarer Republik

    1. Na, da freue ich mich sehr, liebe Sabine, wenn ich da bei Dir wieder einmal einen Treffer landen konnte. 🙂 Sonnige und herzliche Montagabendgrüße und eine schöne kurze Woche! Barbara

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    1. Na, da haben wir ja etwas gemeinsam. Bei mir sind es auch vier, aber das muss sich unbedingt ändern. 🙂 Denn da gibt es noch so einiges zu entdecken. Herzliche Grüße und eine gute restliche Woche (ist ja ein bisschen kürzer diese Arbeitswoche und vielleicht mehr Zeit zum Lesen)!

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  1. Danke für den Buchtipp! Habe dann allerdings festgestellt, dass ich vier der sieben Frauen in meinem Blog schon porträtiert habe. Es ist mir aber der letztendliche Anstoß, endlich über Vicki Baum zu schreiben, die schon so lange auf meiner Liste steht.

    Ich schaue gerne vorbei für weitere Inspirationen!

    LG

    Astrid

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    1. Sehr gern geschehen. Bei mir war die Quote der Autorinnen, von welchen ich Bücher zu Hause habe, auch vier aus sieben. Aber ich gedenke, das ebenfalls zu ändern. Herzliche Grüße und ich freue mich über jede und jeden, die bzw. der hier auf meiner Bowle vorbeischaut. Herzlich willkommen!

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