Slowenische Strapazen

Meine Europabowle oder Literarische Europareise habe ich die letzten Monate sträflich vernachlässigt und die Pause war lang. Aber heute soll es weitergehen: und zwar nach Slowenien. Nataša Kramberger entführt ihre Leserschaft in ihrem Roman „Verfluchte Misteln“ in ein kleines slowenisches Dorf und auf den heimatlichen Bauernhof, auf den die Erzählerin – nach einem Schriftstellerdasein in Berlin – zurückkehrt, um ihn von der Mutter zu übernehmen und auf ökologische Bewirtschaftung umzustellen.

Viele im Ort halten es für eine Schnapsidee der jungen Heimkehrerin, den Bauernhof der Familie auf bio-dynamischen Anbau umzustellen. Was weiß diese junge Frau, welche die letzten Jahre in Berlin als Autorin gearbeitet hat, schon von der Landwirtschaft und den Eigenheiten der slowenischen Natur? Doch sie wirft sich motiviert und mit vollem Elan in das Abenteuer, experimentiert, probiert Neues aus, geht an ihre körperlichen Grenzen, scheitert, flucht und feiert kleine Erfolgserlebnisse.
Nostalgische Momente, Panikattacken, Freude, Wut, Verzweiflung, Trauer – es ist eine wahre Achterbahn der Gefühle, welche die Erzählerin durchlebt.

„Da hörte meine Kindheit auf. Da war Schluss mit den Sonntagen unter der Bettdecke, mit dem Buch auf dem Kissen und einer großen Schüssel von Omas Käse in den Händen. In den Käse, den weichen Quark mit süßer Sahne, rührte ich noch Zucker oder Honig, und die Sonntagsbücher lasen sich dabei fast von allein.“

(S.247)

Kramberger hat einige eindringliche Szenen geschaffen, die sich mir beim Lesen nachhaltig eingebrannt haben. Den verzweifelten Kampf gegen den außer Rand und Band geratenen Klapotetz oder auch die Mühen und Anstrengungen gegen das Erfrieren der Obstblüten, um zumindest einen Teil der Ernte zu retten, welche sie an den Rand der körperlichen Erschöpfung bringen.

Sie beschreibt kein romantisches „Urlaub auf dem Bauernhof“-Idyll, sondern sie macht klar, wie hart, körperlich fordernd und auch mental anstrengend das Leben als Öko-Landwirtin ist. Der ständige, bange Blick auf den Wetterbericht, die Temperaturen und die angekündigten Niederschläge – oder auch ausbleibenden Niederschläge. Der Klimawandel in allen Facetten ist bereits deutlich spürbar.

Ihre ersten Gehversuche in der Landwirtschaft, die von kritischen Bemerkungen und vernichtenden Urteilen der Großmutter begleitet werden, sind geprägt von zahlreichen Rückschlägen und Niederlagen. Tagelange Pflanzarbeit macht der Frost unbarmherzig zunichte, falsches Saatgut geht nicht auf wie gewünscht, das Unkraut führt ein munteres, zähes Eigenleben.

In zwölf Kapiteln, welche den Monaten von Oktober bis September gewidmet sind, durchläuft Kramberger ein Jahr mit Höhen und Tiefen. Landwirtschaft bedeutet ein Leben in einem wiederkehrenden Rhythmus, mit sich wiederholenden Tätigkeiten, in einem Zyklus, der durch die Jahreszeiten bestimmt und geprägt ist. Säen und Ernten – und die vielen Handgriffe davor, dazwischen und danach, die notwendig sind, um am Ende auch den gewünschten Erfolg zu erzielen. Die Autorin arbeitet auch sprachlich mit einer Vielzahl von Wiederholungen, die etwas Beschwörendes haben.

„Wiederholungen“, seufzte meine Oma, „fressen sich dir in den Körper, als hätten sie einen eigenen Willen.“

(S.191)

Wie ein Mantra wiederholt die Autorin auch die Formel: „Man müsste anständig erzählen können…“ – doch darüber sollte sie sich keine Gedanken machen. Ihre Geschichte ist gut erzählt: Sprachlich verspielt, teils ungewöhnlich und experimentell – wie ein sprachlicher Rausch und ein wilder Tanz. Es gibt befremdliche Szenen und stellenweise ist der Text sperrig und fordernd wie die Natur, der karge Boden, die widrigen, wechselnden Wetterverhältnisse und das harte, körperlich anstrengende Leben als Landwirtin, das Kramberger für sich gewählt hat.

Nataša Kramberger ist 1983 geboren und beschreibt im Roman mit autobiografischen Zügen auch ihr eigenes Leben und das Pendeln zwischen den Welten der Großstadt Berlin – wo sie vor allem im Winter lebt – und dem Landleben in Slowenien, wo sie tatsächlich im Sommer mit dem Kunstkollektiv Zelena Centrala einen kleinen biodynamischen Bauernhof betreibt – wie dem Klappentext entnommen werden kann.

Mit „Verfluchte Misteln“ ist der Autorin ein aktueller, moderner und selbstironischer Roman gelungen, der Angststörungen ebenso thematisiert wie den großen Themenkomplex des Umwelt-, Naturschutz und ökologischen Landbaus. Ein Spagat zwischen dem Autorendasein in der Großstadt und dem Leben auf dem Land.

Ein Ringen mit der Schriftstellerei, der richtigen Formulierung oder dem passenden Wort auf der einen Seite und den Unwägbarkeiten der Natur auf der anderen Seite. Aber auch ein Buch über Familie, Großmütter, Mütter und Töchter, über Traditionen und das Erbe, in dessen Fußstapfen man zu treten versucht.

Weitere Besprechungen gibt es bei Sandra Falke’s Literarische Abenteuer und Deutschlandfunk Kultur.

Die bisherigen Stationen meiner Europabowle oder Literarischen Europareise haben mich nach Finnland, Irland, Italien, Österreich, Dänemark, Rumänien, Griechenland, in die Schweiz und nach Spanien geführt – wer neu auf die Kulturbowle gelangt ist und noch weiterreisen oder nachlesen möchte, was bisher geschah, kann dies auf den farbig hinterlegten Länderbezeichnungen gerne tun. Weitere Stationen sind in Planung und werden folgen.

Buchinformation:
Nataša Kramberger, Verfluchte Misteln
Aus dem Slowenischen von Liza Linde
Verbrecher Verlag
ISBN: 9783957324931

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Nataša Kramberger’s „Verfluchte Misteln“:

Für den Gaumen:
Mit viel körperlichem Einsatz – und viel Kneten, Kneten und nochmal Kneten – bäckt die Großmutter auf Wunsch der Enkelin „Milchbrot“.

Zum Weiterdenken:
Im Roman spielt das Thema ökologische Landwirtschaft eine große Rolle.
Genau heute am 22. Januar 2022 findet dieses Jahr pandemiebedingt online die große „Wir haben es satt!“-Demonstration von Landwirten, Natur- , Umwelt- und Tierschutzverbänden für eine Agrarwende statt, die seit 2011 traditionell während der Grünen Woche in Berlin veranstaltet wird.

Zum Weiterlesen:
Einen Literaturnobelpreis konnte Slowenien bisher noch nicht für sich behaupten und auch in meinem Bücherregal bin ich mir bei kurzem Überlegen aktuell keiner weiteren Lektüre aus diesem Land bewusst.
Auch von Nataša Kramberger ist bisher noch keiner ihrer weiteren Romane ins Deutsche übersetzt worden.
Als einer der bedeutendsten Schriftsteller in Slowenien gilt Drago Jančar, der in „Wenn die Liebe ruht“ die Liebe in Zeiten des Zweiten Weltkriegs thematisiert. Gelesen habe ich diesen preisgekrönten Roman bisher nicht, aber vielleicht setze ich meine literarische Reise nach Slowenien ja irgendwann mit diesem Werk fort:

Drago Jančar, Wenn die Liebe ruht
Übersetzt von Daniela Kocmut
Zsolnay
ISBN: 978-3-552-05950-4

10 Kommentare zu „Slowenische Strapazen

    1. Liebe Nicole! Es ist keine leichte Lektüre und auch Witz oder Humor stehen nicht im Vordergrund. Mich hat die Thematik gereizt – der Kontrast zwischen Stadt und Land und die Schwierigkeiten, welche die Erzählerin auf dem Bio-Bauernhof bewältigen muss.
      Die Sprache und der Schreibstil sind stellenweise ungewöhnlich und fordernd. Es wäre jetzt kein Buch, das ich einfach so zur Entspannung lesen würde. Es war für mich ein interessanter, lesenswerter Ausflug in ein mir bisher unbekanntes Land und ein etwas anderes Genre abseits des Mainstreams – zu meinen absoluten Herzens- oder Lieblingsbüchern würde ich es jedoch nicht zählen. Herzliche Grüße! Barbara

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