Französisches Dreiecksverhältnis

Meine literarische Europareise bzw. Europabowle führt mich heute in unser Nachbarland Frankreich und zwar mit einem stilistisch herausragenden Roman der Autorin Louise de Vilmorin aus dem Jahr 1954, der soeben in einer wunderbaren Neuübersetzung von Patricia Klobusiczky erschienen ist: „Belles amours“. Ein Roman über eine komplizierte, unheilvolle Ménage a trois, die tief ins Seelenleben der Beteiligten blicken lässt.

M. Zaraguirre laviert sich bis kurz vor der Vollendung seines fünfundfünfzigsten Lebensjahres erfolgreich und mit einer gewissen Leichtigkeit durch zahlreiche Liebesgeschichten und -affären ohne es jemals zu ernst werden zu lassen.

„Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen, nur keine Versprechen“, pflegte er zu sagen, und wenn sie, der Ungewissheit müde und auf einen Beweis ihrer Macht erpicht, schließlich nach Juwelen verlangten statt nach Küssen, bestärkte er sie darin und ließ ihnen als Belohnung für so viel Weisheit einen Diamantring zukommen. Diesen verschenkte er als Souvenir, begleitet von ein paar schlichten Worten: „Der Solitär ist mein Wahrzeichen, ein tristes Wahrzeichen, das Sie sich nicht zu eigen machen sollten. Nehmen Sie ihn, vergessen Sie ihn, er ist als Abschiedskuss gedacht.“

(S.11/12)

Doch als er sich plötzlich in die Braut von Louis Duville – dem Sohn seines besten Freundes und um viele Jahre jünger als er – verliebt, nimmt das Unglück seinen Lauf. Schon zu Beginn des Romans ist klar, dass dieses Dreiecksverhältnis ein kompliziertes werden wird, und Louise de Vilmorin erzählt in Rückblenden, wie sich das Beziehungsgeflecht immer mehr verstrickt.

„Zunächst waren beide verblüfft, dann wurden sie ernst und verloren schließlich mehr und mehr die Bodenhaftung, von dieser angenehmen Verwirrung ergriffen, die stets auf gegenseitiger Anziehung beruht und zuweilen Liebe verheißt.“

(S.20)

Dabei hätte alles so schön sein können. Die Eltern Duville sind wohlhabend, der Vater führt mit dem Sohn ein florierendes Geschäft, man residiert auf einem schönen Landsitz namens Valronce und doch ist Paris nah, um hin und wieder Großstadtluft zu schnuppern. Als dann der Sohn sich – nach einer ausgiebigen Orientierungsphase – doch endlich ernsthaft in eine hübsche, junge Frau und Nichte eines Bekannten verliebt, scheint das Glück perfekt.

Keiner konnte ja ahnen, dass der zur Hochzeit eingeladene beste Freund des Vaters M. Zaraguirre sich nicht nur rettungslos in die Braut verliebt, sondern es ihm auch noch gelingt, dieser wirkungsvoll den Kopf zu verdrehen.

„Wenn ein Mann und eine Frau sich nie wirklich geliebt haben und nicht wirklich befreundet sind, haben sie einander nicht viel zu sagen.“

(S.164)

„Belles amours“ besticht für mich vor allem durch eine absolut außergewöhnliche stilistische Ästhetik. Da sitzt jede noch so spitze Formulierung perfekt – hier hat auch die Übersetzerin wirklich Großes geleistet – und die Sprache lässt sich einfach mit unbeschreiblichem Vergnügen lesen. Intelligent, scharfsichtig und mit einem unbestechlichen Auge für Feinheiten zeichnet Louise de Vilmorin exakte Charakterstudien, die tief ins Innere der Figuren blicken lassen.

Man taucht ab in diesen Roman, der vielleicht ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt und dennoch auf absolut zeitlose Art und Weise die großen Gefühle beschreibt: Liebe, Hass, Leidenschaft… de Vilmorin hat eine Gabe, das Zwischenmenschliche in allen Schattierungen mit wenigen, fein gesetzten Worten lebendig werden zu lassen. So viele Zitate und kluge Sätze aus „Belles amours“ wären es wert, hier erwähnt und ausgewählt zu werden, so dass es mir dieses Mal gar nicht so leicht gefallen ist, mich für einige wenige zu entscheiden.

Sehr ästhetisch – und somit dem Schreibstil der Autorin ebenbürtig – ist auch die wunderschöne Gestaltung in Leinenbindung in einem leuchtend frischen türkis, die der Dörlemann Verlag für das Werk gewählt hat. So wird die Lektüre auch optisch und haptisch zum Genuss.

Louise de Vilmorin (1902 – 1962), die eine umfassende Ausbildung genoss, Literatur studierte und mehrere Fremdsprachen beherrschte, stammte aus französischem Adel – insofern kennt sie die Welt und den Menschenschlag, die sie in „Belles amours“ beschreibt genau. Sie veröffentlichte Gedichte und mehrere Romane, wie z.B. „Liebesgeschichte“, „Julietta“ oder „Madame de“, der 1953 von Max Ophüls verfilmt wurde.

„Wer unglücklich ist, gestaltet die Vergangenheit, mit deren Folgen er leben muss, in Gedanken immer wieder um.“

(S.213)

Die bisherigen Stationen meiner Europabowle oder Literarischen Europareise haben mich nach Finnland, Irland, Italien, Österreich, Dänemark, Rumänien, Griechenland, in die Schweiz, nach Spanien und Slowenien geführt – wer neu auf die Kulturbowle gelangt ist und noch weiterreisen oder nachlesen möchte, was bisher geschah, kann dies auf den farbig hinterlegten Länderbezeichnungen gerne tun. Weitere Stationen sind in Planung und werden folgen.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Dörlemann Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Louise de Vilmorin, Belles amours
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Dörlemann Verlag
ISBN: 978-3-03820-102-1

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Louise de Vilmorin’s „Belles amours„:

Für den Gaumen (I):
Wisst Ihr, was Liebesbrunnen sind?
Ich wusste es nicht, aber was passt wohl besser zu einem Roman der „Belles amours“ heißt, als diese kleinen Köstlichkeiten aus der Konditorei. Gemäß Recherche handelt es sich um kleine Gebäckstücke auf Brandteig-Basis, die mit Chiboust-Creme garniert sind und anschließend im Ofen karamellisiert werden.
Bei Lapaticesse gibt es ein Rezept.

Für den Gaumen (II):
Doch es gibt noch weiteres im Roman zu erschmecken: zum Beispiel „Brioche und heiße Schokolade“ (S.49) – das scheint mir ebenfalls eine sehr seelentröstende Kombination zu sein, die gerade auch im Moment vielleicht gut tun könnte.

Zum Weiterlesen (I):
Louise de Vilmorin war mit Antoine de Saint-Exupéry verlobt, den sie während ihres Literaturstudiums kennenlernte, doch sie löste die Verlobung. Nichtsdestotrotz wäre dies – gerade jetzt in schweren Zeiten – vielleicht ein willkommener Anstoß, das bekannteste Werk des französischen Autors wieder einmal zu lesen – eines der wenigen Bücher, die man wirklich immer wieder lesen kann: „Der kleine Prinz“.

Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz
Aus dem Französischen von Grete und Josef Leitgeb
Karl Rauch Verlag
ISBN: 978-3-7920-0024-3

Zum Weiterlesen (II):
Frankreich ist der Spitzenreiter, was die Anzahl der Literaturnobelpreisträger betrifft: Stolze 15 hat unser Nachbarland Stand heute bereits vorzuweisen: Sully Prudhomme, Frédéric Mistral, Romain Rolland, Anatole France, Henri Bergson, Roger Martin du Gard, André Gide, François Mauriac, Albert Camus, Saint-John Perse, Jean-Paul Sartre, Claude Simon, Gao Xingjian, Jean-Marie Gustave Le Clézio und Patrick Modiano.
Persönliche Leseerfahrungen habe ich bisher nur mit einigen wenigen gemacht. Unter anderem vor vielen, vielen Jahren mit Albert Camus’ „Der Fremde“.

Albert Camus, Der Fremde
Aus dem Französischen von Uli Aumüller
Rowohlt Taschenbuch
ISBN: 9783499221897

9 Kommentare zu „Französisches Dreiecksverhältnis

  1. Merci pour l’inspiration! Ich fühle mich in diesem Frühling sehr von Frankreich inspiriert und habe ungewöhnlich viel Lust auf französisches Essen, französische Filme, französische Musik, französische Mode, französische Literatur und etwas joie de vivre. Das Buch kommt auf jeden Fall auf meine Leseliste!

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  2. Liebe Barbara,
    frei assoziiere ich zum „Französischen Dreiecksverhältnis“ das sogenannte „Weimarer Dreieck“ mit Frankreich, Deutschland und Polen; hoffe auf aktuelle diplomatische Einflüsse.
    Friedliche Grüße, herzlich Bernd

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